Wie lebt und stirbt es eigentlich, das Zwei-Euro-Hendl aus dem Supermarkt?

Der Dioxinskandal lässt ahnen, was in der Massentierhaltung geschieht. Wir wenden viel Energie auf, um das Geheimnis zu schützen. Noch.

Man kann nicht sagen, man wüsste von nix. Ein Kilo Jausenwurst um 3,20 Euro. Ein Kilo Faschiertes um 3,90. Ein Hendl um zwei Euro. Wenn man die eingeschweißten Packerln an der Kassa aufs Band legt, weiß man selbstverständlich, dass da irgendetwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Wir ahnen, dass ein Zwei-Euro-Huhn in seinem Leben wohl eher keinen Wurm gepickt und ein Vier-Euro-das-Kilo-Schwein nie das Tageslicht gesehen hat, aber genauer fragen wir lieber nicht nach. Sicherheitshalber, es könnte uns ja der Appetit vergehen.

Ab und zu wird uns die Wahrheit unter die Nase gerieben, wie derzeit, beim Skandal um dioxinverseuchte Futtermittel. Prinzipiell könnte man es den fleischerzeugenden Betrieben und den Supermarktketten gar nicht übel nehmen, würden sie den ach so empörten Konsumenten einfach frech zurückschnauzen: Na, was hättet ihr denn geglaubt, was Drei-Euro-Tiere zu fressen kriegen? Handgepflückte Biokräuter – oder eher Abfälle aus der Schmierölproduktion? Überraschung!

Das sagen sie natürlich nicht, die Fleischfabriken und die Supermarktketten. Haben ja professionelle PR-Abteilungen. Und stimmen deswegen aus voller Kehle in den Chor der Entrüsteten, Enttäuschten, Scheinheiligen ein. Nein, dass so schreckliche Dinge tatsächlich passieren! Hätten wir nie im Leben vermutet! Was für ein Schock! Aber bei dem Fleisch, das ich gerade produziert/verkauft/gekauft/gegessen habe, ist das garantiert total anders!

Es ist schon erstaunlich, wie viel Kraft und Energie wir aufwenden, um zu verdrängen, wo Billigfleisch eigentlich herkommt. Dass jeden Tag Millionen frisch geschlüpfte Küken lebendig geschreddert werden, weil man nur die weiblichen brauchen kann. Dass den überzüchteten Puten wegen ihrer enormen Brüste die Beine brechen. Dass Schlachtbänder so schnell laufen, dass Schweine oft noch leben, wenn ihnen die Füße abgeschnitten werden. Dass Rinder oft trotz Betäubung und Bolzenschuss noch brüllen, während man ihnen Eingeweide herausreißt. Und dass diese Art der Fließbandfleischerzeugung nur funktioniert, wenn ständig Hormone und Antibiotika ins Futter gemischt werden.

Tierfabriken überall auf der Welt haben etwas gemeinsam: Sie verstecken sich hinter hohen Zäunen. Über sie wird keine „Universum”-Doku gedreht. Sie sind kein Ziel für Schulausflüge. Und es wird kein Zufall sein, dass sie so viele Migranten beschäftigen, Saisonarbeiter, Fremde mit unsicherem Aufenthaltsstatus. Menschen, die nicht allzu laut darüber sprechen können, was genau sie tun. Die man, wenn notwendig, rasch wieder loswird.

Jonathan Safran Foer hat all das in seinem Bestseller „Tiere essen“ dokumentiert. Foer ist kein esoterischer Spinner, kein anarchistischer Fundi, sondern ein höflicher, gebildeter, besonnener Familienvater aus Brooklyn. Was er erzählt, haben vor ihm schon andere erzählt. Doch die Massen, die er derzeit mit seinem Buch mobilisiert, verraten, dass in der gesellschaftlichen Wahrnehmung in letzter Zeit etwas gekippt sein könnte. Dass das Billigfleisch seine Unschuld verloren hat.

Wie gut, dass das nur für Amerika und höchstens noch für Deutschland gilt. In Österreich ist selbstverständlich alles total anders. Hier kostet das Schnitzel zwar auch nur drei Euro das Kilo, aber hier sprechen die herzigen Ferkel sogar in der Fernsehwerbung, bevor sie verwurstet werden.

Und sie versichern uns: Alles ist gut.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2011)

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