Die Leute dort draußen sind genauso wie ich, sagte Wolfgang Priklopil

. . .und auf perverse Weise sollte er recht behalten. Offenbar gibt es sehr viele Menschen, die seine Tat zu Ende bringen wollen: Natascha Kampusch endgültig zu unterwerfen.

Das Erste, was Wolfgang Priklopil mit Natascha Kampusch anstellen wollte, war: ihre Identität auslöschen, ihr Ego zerstören. Er verbot ihr, ihren Namen zu verwenden und sich in den Spiegel zu schauen. „Du hast keine Vergangenheit mehr“, sagte er ihr. „Du gehörst nur mir. Ich habe dich erschaffen.“

Er wollte ihre Lebensgeschichte neu schreiben – genau so, wie er sie sich vorstellte. Jene, die sie heute der Lüge bezichtigen, tun dasselbe: Sie sprechen ihr die Fähigkeit ab, ihre Erlebnisse richtig einzuordnen und zu benennen. Es soll nicht mehr ihre Geschichte sein, sie wollen sie sich ganz und gar aneignen, und selbst bestimmen, was daran richtig oder falsch ist.

Mit akribischer Besessenheit vermaß Priklopil sein Opfer, ihre Regungen, ihren Körper. Rasierte ihre Haare ab. Kontrollierte ihr Gewicht. „Er hängte die Klotüren aus. Nicht einmal für zwei Minuten sollte ich mich seinem Blick entziehen können“, schreibt Kampusch in ihrem Buch.

Wie detailversessene Pornografen sind nun auch ihre Jäger unterwegs. Eine junge Frau wird auf den Seziertisch gelegt, jeder Quadratzentimeter ihres Körpers wird öffentlich vermessen und ist rechenschaftspflichtig. Ihre Haarlocke. Ihre Regelblutung. Die DNA-Analyse hätte man gern vorgelegt, die Ergebnisse der gynäkologischen Untersuchung. Hat man schon ihr Tagebuch durchforstet? Und warum hat sie Gewicht zugelegt?

Nein, auch dein Körper gehört dir nicht. Alles, alles wollen wir sehen, du wirst doch nichts zu verbergen haben, oder? Die Übergriffe der Verschwörungstheoretiker und ihrer parteipolitischen Handlanger sind derb genug. So richtig zur Sache geht es dann in den anonymen Online-Foren.

Priklopil ist an dieser jungen Frau gescheitert – weil sie am Ende stärker war als er. Doch dort draußen lauern jede Menge Leute, die sich mit dieser Niederlage nicht abfinden wollen. Die sich berufen fühlen, das Werk des Täters zu Ende zu führen. Sie wollen das Opfer erniedrigen (der geht's zu gut), zum Verstummen bringen (die gehört ein für alle Mal mundtot gemacht), verbannen (wann setzt die sich endlich ins Ausland ab?), oder, noch besser, zurückscheuchen in ihr Verlies (sie soll wieder in das Loch kriechen), aus dem sie nie wieder herausdarf, außer zur totalen Unterwerfung.

Nach dem Willen der Meute gehört das Opfer tatsächlich wieder eingesperrt, und zwar in Einzel-Beugehaft genommen, bis sie gesteht. Gesteht. . . was? Als Strafe. . . ja, wofür? Und wie lang darf dieses aggressive öffentliche Stalking einer Person, die niemandem etwas zuleide getan hat, eigentlich noch weitergehen, ehe jemand die Foren abdreht?

Wenn du Ruhe haben willst, weißt du genau, was du zu tun hast: Man kann sich gut vorstellen, dass Priklopil genau solche Worte verwendet haben könnte. Mehrmals schubste er sein Opfer, mager, mit Blutergüssen und Stoppelhaaren, in die Kälte vor die Haustür. „Ich war starr vor Schreck und Scham. Ich hatte kaum etwas an und versuchte, mit meiner freien Hand notdürftig meinen Körper zu bedecken“, schreibt sie. „Lauf doch. Schau, wie weit du kommst“, sagte Priklopil dann, „was willst du denn, du versäumst nichts, draußen ist es genauso wie hier drinnen!“

Es ist grausig anzuschauen, wie der Täter in diesen Tagen auf perverse Art recht bekommt.

Die kursiven Zitate entstammen dem Online-Forum der „Krone“.

Zur Autorin:


Reaktionen senden Sie bitte direkt an:debatte@diepresse.com Sibylle Hamann
ist Journalistinin Wien. Ihr Buch „Saubere Dienste“ (erschienen im Residenzverlag) wird in Wien am Montag, den 12.März in der Hauptbücherei am Gürtel präsentiert (19 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2012)

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