Sicherheitsnetz statt Sündenbock: EU-Bashing ist beliebt, aber verfehlt

Bei all dem Ärger über Glühbirnen und Gurken bitte nicht zu vergessen, dass die EU uns oft vor Schlimmerem bewahrt. Österreichs Politik scheint dagegen überfordert.

Im derzeitigen EU-Wahlkampf zeichnet sich ein Wettbewerb im EU-Bashing ab. Selbst Parteien, die sich prinzipiell positiv zur Europäischen Union stellen, sagen „Ja, aber ...“. So hofft etwa die SPÖ, dadurch Proteststimmen potenzieller FPÖ-Wähler zu kassieren, die der EU die Schuld an allem Ungemach geben. Es ist ein altes, aber immer noch beliebtes Spiel der Politiker, auch in anderen EU-Ländern, für eigenes Versagen stets der EU die Schuld zuzuschieben.

Es ist aber gerade in Österreich nicht angebracht, dieses Spiel erneut zu spielen. Zum einen aus Sicht der Innenpolitik: Trotz einer seit Jahren währenden Großen Koalition, die für alle Vorhaben die nötige Mehrheit besitzen würde, geht nichts weiter. Die großen Reformen liegen auf Eis, man nehme nur die Verwaltungsreform. Nichts ist geschehen.

Bei der Pensionsreform hat man das Kunststück geschafft, viel zu versprechen, an ein paar Rädchen zu drehen – und die Frühpensionierungen steigen anstatt zurückzugehen. Nicht einmal ein vernünftiges Gesetz zum Nichtraucherschutz hat man zustande gebracht. Dafür hat man es geschafft, der Gastronomie enorme Umbaukosten aufzunötigen. Die Staatsschulden steigen rasant, während Arbeitnehmern und Unternehmern immer neue und höhere Steuern abgepresst werden. Ein Konzernvorstand, der so eine Bilanz vorlegt, würde sofort gefeuert.

Seit Bestehen der Großen Koalition hat man als Bürger den Eindruck, die Politik beschäftige sich vorwiegend mit sich selbst, während die großen Reformen von der EU vorgegeben und hier bloß noch nachvollzogen oder blockiert werden. Statt eigene Initiativen zu setzen, hat sich der Nationalrat zuletzt vornehmlich mit Politskandalen und U-Ausschüssen beschäftigt. Zügig umgesetzt wurden einzig Erhöhungen bei den Steuern und bei der Parteienförderung.

Zugegeben, das ist eine grobe Verkürzung, aber was hat man wirklich an Positivem weitergebracht? Es steht zu befürchten, dass die heimische Politik und ihre Organe bei der Steuerung des Staatsschiffs völlig überfordert sind. Die Hauptprobleme in diesem Land sind nämlich nicht von der EU verursacht, sondern diese bewahrt uns zumeist vor noch Schlimmerem! Beispiel Hypo Alpe Adria, bei der die nationale Politik und Kontrolle völlig versagt haben und nun die EU die Bankeninsolvenz regelt. Wo österreichische Politiker aktiv wurden, haben sie Probleme erst verursacht, statt sie zu lösen, oder sie auf die lange Bank geschoben.

Die Hypo ist nur das prominenteste Beispiel. Auch der Bund, andere Bundesländer und unzählige Gemeinden haben mit dem Geld der Steuerzahler in unverantwortlicher Weise spekuliert oder es auf andere Weise verschwendet – und tun es weiterhin. Sie haben es bisher verabsäumt, die Weichen für die Zukunft zu stellen, siehe Pensionsreform.

Die EU ist nicht geeignet, als Sündenbock für hausgemachte Probleme herzuhalten. Sicher: Wir alle haben uns oft über Unsinnigkeiten wie die Glühbirnenverordnung geärgert, die mehr schadet als nützt. Und ob die Verschärfung der Klimaziele und der Freihandel mit den USA sinnvoll sind, darüber ist sicherlich zu diskutieren.

Das aber sollte nicht dazu führen, nur zu schimpfen, sondern uns ermuntern, selbst aktiv zu werden, uns an Abgeordnete und EU-Institutionen zu wenden. Die Initiative „One for us“ gegen Embryonenforschung mit 1,7 Millionen Unterstützern ist ein Beispiel dafür, dass EU-Bürger den Kurs nicht allein den Lobbyisten überlassen dürfen.

Über Einzelthemen darf aber nicht vergessen werden, was die Basis der EU ausmacht. Sie ist primär ein Friedensprojekt, das sollte uns gerade angesichts der Ereignisse in der Ukraine wieder deutlich werden. Viele Probleme sind zu groß, zu international, um sie als kleines Land allein lösen zu können. Vor allem dann, wenn das handelnde Personal mit innenpolitischem Kleinkram überfordert ist. Dieser Aspekt aber ist wohl wichtiger als der Ärger über das Ende der Glühbirne.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.