Euthanasiedebatte: Übers Sterben kann man nicht abstimmen!

Das Verbot aktiver Sterbehilfe soll in die Verfassung. Etliche Experten lehnen dies ab. Aus "Selbstbestimmung" wird jedoch rasch ein gesellschaftlicher Druck.

Die Meldung, dass in Belgien die aktive Sterbehilfe künftig erlaubt sein wird, rüttelte auch in Österreich viele Menschen auf. Hierzulande ist aktive Sterbehilfe generell verboten. Die Bundesregierung will prüfen, dieses Verbot in der Verfassung zu verankern. Eine Bürgerinitiative sammelt dafür Unterschriften.

Doch dieses Vorhaben ist umstritten: Kürzlich hatte ein Jurist bei einer Diskussionsveranstaltung der „Presse“ von „demokratiepolitischem Unsinn“ gesprochen. Sein Argument war: Es müsse jeder Generation selbst überlassen werden, ob sie Tötung auf Verlangen erlaube oder nicht. Das aber ist ein ziemlich gefährliches Argument.

Derzeit nimmt laut Umfragen der Med-Uni Graz und des IFES-Institutes die Zustimmung zu aktiver Sterbehilfe sogar ab. Waren es 2010 noch 67 Prozent der Österreicher, die sich eine Tötung eines Patienten auf dessen Wunsch oder die Beihilfe zum Suizid vorstellen konnten, so ging diese Zahl 2014 auf 47 Prozent zurück.

Das ist der derzeitige Stand. Doch wie wird das in Zukunft aussehen? Wenn die Kosten für Pensionen, Pflege und medizinische Versorgung stark steigen werden? Wenn die geburtenstarken Jahrgänge alt und krank werden? Wird dann darüber abgestimmt werden, aktive Sterbehilfe doch zuzulassen? Und wird dann nicht auch der Druck der Gesellschaft steigen, sich als „Altlast“ zu entsorgen oder entsorgen zu lassen? Schnell wird dann aus einer „Selbstbestimmung“ eine Fremdbestimmung. Diese Entwicklung sieht man bereits heute in jenen Ländern, in denen aktive Sterbehilfe erlaubt ist.

Auch in einem anderen Expertengremium sieht man das Verbot der Sterbehilfe als nicht in Stein gemeißelt. Ein Mitglied der Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt postulierte bei einer öffentlichen Debatte, er sei für eine Sterbehilfe bei schwer kranken Menschen, um sie nicht unnötig leiden zu lassen.

Aber wer entscheidet, wann das Leiden ein Ende haben soll? Die Angehörigen? Der behandelnde Arzt? Es ist dies für beide eine unzumutbare Fragestellung. Die einen werden diese Entscheidung ablehnen, weil sie bis zuletzt aus Liebe hoffen. Aufgabe der Ärzte wiederum ist es, Leiden zu lindern, und nicht, Leidende zu töten.

Sowohl Palliativmediziner als auch Anästhesisten und Intensivmediziner distanzieren sich in ihren Stellungnahmen klar von der aktiven Sterbehilfe. Stattdessen fordern sie, die konkret mit Patienten am Lebensende konfrontiert sind, eine bessere Ausbildung für Palliativmedizin und eine bessere stationäre und mobile palliativmedizinische Versorgung.

Schmerzen können heute dank medizinischen Fortschritts erfolgreich behandelt werden. Zugleich ist klar, dass das Abbrechen einer sinnlosen Therapie oder das Zulassen des Sterbens bei tödlich verlaufenden Krankheiten ethisch und rechtlich legitim ist.

Auch die Möglichkeit einer Patientenverfügung zielt auf die Achtung der Selbstbestimmung. Der Schutz des Lebens ist ein vorpolitisches Recht, es steht also über der Demokratie, und daher kann man darüber auch nicht abstimmen.

Es kann auch nicht der jeweiligen Zusammensetzung eines Bioethikrates überlassen werden, ob das Leben am Ende geschützt ist oder nicht. Eine Verfassungsbestimmung wäre daher ein wichtiges Signal in diese Richtung. So gesehen ist eine Verfassungsbestimmung sinnvoll. Wie das juristisch umzusetzen ist, damit etwa die Patientenverfügung nicht ausgehebelt wird, das ist dann Sache der Experten.

Österreich mit seiner Vergangenheit, in der „lebensunwertes“ Leben in der NS-Zeit systematisch ausgelöscht wurde, sollte bei der Frage der Euthanasie besonders sensibel sein. Man kann es nicht demokratischen Mehrheiten überlassen, welches Leben für erhaltenswert oder nicht angesehen wird. Vielmehr braucht es eine Betonung der Würde des Menschen und des Wertes des Lebens bis zuletzt.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2014)

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