Klassen, Kammern, Privilegien: Eine Politik des 19. Jahrhunderts

Anstatt nachhaltige Reformen anzugehen, agiert die SPÖ mit Kampfmitteln des 19.Jahrhunderts. Ihre Zielgruppe – Neidgenossen, Ältere – bedient sie damit perfekt.

Es ringt einem durchaus Bewunderung ab: Mit atemberaubender Geschwindigkeit hat die „alte Tante“ auf den enttäuschenden Ausgang der EU-Wahl reagiert und fährt eine offensive Gegenstrategie. Um jeden Preis will sich die SPÖ die Themenführerschaft sichern, ähnlich dem Rezept Michael Häupls in Wien. Da das Stöhnen unter der Steuerlast unüberhörbar geworden ist und man Angst hat, demnächst – etwa bei der Wien-Wahl – abgestraft zu werden, hat man auf ein altbewährtes Mittel aus der Gründungszeit der SPÖ im 19.Jahrhundert zurückgegriffen: den Klassenkampf.

Also erschallt landauf, landab seither der Ruf nach der Millionärssteuer, nach höheren Grundsteuern etc. Damit hat man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe erwischt: Die ÖVP ist in der Defensive und in einem Imageproblem verfangen. Denn nichts wirkt so unsympathisch, wie „die Reichen“ zu schützen. Weiters hat man eine scheinbare Finanzierungslösung für eine Steuersenkung bei unteren Einkommen gefunden; à la Robin Hood nimmt man den Reichen, um es selbstlos den Armen zu geben. Vor allem aber lenkt die SPÖ von der eigenen Unfähigkeit ab, eine nachhaltige Strukturreform anzugehen.

Wer fragt noch nach der Pensionsreform? Die Pensionisten zählen schließlich zur wichtigsten und mächtigsten Wählergruppe der SPÖ, und diese gilt es nicht zu vergrämen. Wer fragt noch nach Privilegienabbau? Schließlich ist das Privilegienrittertum – siehe Nationalbank – redlich zwischen Rot und Schwarz aufgeteilt. Wer redet noch vom Sparen?

Dass die Regierung unfähig ist, echte Reformen anzugehen, liegt nicht nur an der kurzsichtigen Klientelpolitik. Das Problem liegt tiefer: Die aktuelle Politik wurzelt – wie die Parteien – im 19.Jahrhundert. Sie wird durch Politiker im Denken des 20.Jahrhunderts umgesetzt und ist daher untauglich für das 21. Jahrhundert.

Einige Beispiele: Der Klassenkampf wurde schon angesprochen. Dabei vergisst die SPÖ, dass nicht zuletzt durch ihre erfolgreiche Politik „die Arbeiterklasse“ nicht mehr existiert. Sie ist zumindest im Mittelstand angekommen, viele Kinder haben studiert, durch Fleiß und Erbschaften wurden auch in dieser Gruppe Vermögen gebildet.

Weiteres Beispiel ist das uralte Feindbild des Zinshausbesitzers, der die rechtlosen Mieter aussaugt. Wir haben ein Mietrecht, das auf Kaiser Karl zurückgeht, der Kriegswitwen durch „Friedenszinse“ schützen wollte.

Oder nehmen wir das Kammernsystem, das im Ständestaat der 1930er-Jahre erfunden wurde! Die Arbeiterkammer ist längst zum Konsumentenschützer geworden, die Wirtschaftskammer saugt Selbstständige aus, ohne erkennbaren Nutzen. Oder das System der Bezirksverwaltungen, das auf Maria Theresia zurückgeht. Die Bezirksgerichte wurden 1848 neu organisiert, sie sollten jeweils in einem Tag per Ochsenfuhrwerk erreichbar sein. Würde man diese Einteilung nach einer Autostunde treffen, so müssten wir kräftig Bezirke und noch mehr Gerichte zusammenlegen.

Was die Alterspension anbetrifft, haben schon Legionen von Pensionsexperten darauf hingewiesen, dass bei einer stetig steigenden Lebenserwartung das Antrittsalter angehoben werden müsse. 1909 lag die Lebenserwartung von Männern bei durchschnittlich 46 Jahren, 1970 war sie auf 61Jahre gestiegen. Bei einem damaligen tatsächlichen Pensionsantrittsalter von 61Jahren erlebten viele Männer diese gar nicht mehr. Heute, bei einer Lebenserwartung von 73 Jahren bei Männern und 83Jahren bei Frauen, gehen wir mit durchschnittlich 58 Jahren in den Ruhestand. Das ist fein für die Betroffenen, aber fatal für die Gesellschaft. Obwohl die Zuschüsse aus dem Steuertopf immer mehr steigen, zögert die Politik weiter.

Es stellt sich also nicht die Frage, ob wieder ein paar neue Steuern eingeführt werden. Es geht darum, wie zu schaffen wäre, dass unsere politischen Parteien, Kammern und Funktionäre endlich im 21.Jahrhundert ankommen!

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2014)

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