80 Jahre nach dem Dollfuß-Mord: Ein Toter trennt sie noch immer

Am 25.Juli 1934 wurde Engelbert Dollfuß ermordet. Seine Person spaltet noch immer die Politik, selbst die Staatsspitze sieht sich geprägt von den 1930er-Jahren.

Im groß angelegten Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren geht ein anderer Jahrestag beinahe unter, der für die Geschichte Österreichs ebenfalls prägend war. Vor 80Jahren wurde Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet. Obwohl der Weltkrieg und der darauffolgende Zerfall des Habsburgerreichs eigentlich das bedeutsame Ereignis sein müsste, so ist es Dollfuß, der die Gemüter bis heute extrem stark beschäftigt und erhitzt. Das gilt nicht nur für sozialdemokratische Parteisektionen in Simmering oder Kapfenberg, sondern auch für die Parteiführung. Obwohl diese seit Jahrzehnten in großen Koalitionen mit der ÖVP zusammenarbeitet, ist immer noch ein gegenseitiges tiefes Unbehagen und Misstrauen spürbar. Es wird zwar nicht offen eingestanden, aber letztlich wurzelt dieses in den Ereignissen der 1920er- und 1930er-Jahre und kulminiert im Februar 1934 und in der Person Engelbert Dollfuß.

Die Präsenz der Dreißigerjahre reicht bis in die Spitzen des Staats: In einer Biografie nennt Nationalratspräsidentin Barbara Prammer als das persönlich prägendste Ereignis und die Motivation politisch tätig zu werden die Februarkämpfe 1934. Zu dieser Zeit war sie noch längst nicht geboren. Auch Bundespräsident Heinz Fischer wird sehr emotional, wenn es um Dollfuß geht. In einem Gespräch für meine Biografie über Engelbert Dollfuß berichtete er über seine Bekanntschaften mit Angehörigen von Opfern der Februarkämpfe, die ihn tief beeindruckt und geprägt hätten. Und Minister Josef Ostermayer, engster Berater des Bundeskanzlers, ist sogar persönlich von den Ereignissen im Vorfeld des Jahres 1934 betroffen: Sein Großonkel war einer jener Schutzbündler, die 1927 in Schattendorf ermordet wurden. Ostermayer hat sich dafür eingesetzt, dass seit 2010 im Bundeskanzleramt am 25.Juli keine Gedenkmesse für Dollfuß mehr gefeiert wird.

Obwohl das Thema beide Parteien nach wie vor stark bewegt, wird – außer im privaten Rahmen – nicht miteinander darüber gesprochen. Ein Konsens ist weit entfernt und scheitert an der „Dollfuß-Wunde“, wie Heinz Fischer sie bezeichnet. Interessant ist auch der Umgang beider Parteien mit der Person Engelbert Dollfuß und seinem System. Man hat sich bis heute nicht auf eine einheitliche Bezeichnung der Jahre 1934–1938 geeinigt. Die Linke spricht vom „Austrofaschismus“, die konservative Seite vom „Ständestaat“. Die SPÖ versucht, die Phase 1934–1938 sowie den Nationalsozialismus parteipolitisch zu instrumentalisieren. In ganz Wien begegnet man Gedenktafeln, auf denen der „Opfer 1934–1945“ gedacht wird. Damit wird das autoritäre und Teile der Bevölkerung unterdrückende Dollfuß-System mit dem NS-Terror und seinem gezielten Massenmord gleichgesetzt. Das ist ungeheuerlich und gehört umgehend korrigiert!

Dollfuß ist die Hinrichtung der acht sozialdemokratischen Kämpfer vom Februar 1934 zu Recht vorzuwerfen, das haben bereits viele seiner Gesinnungsfreunde von damals und heute getan. Es ist aber unstrittig, dass Dollfuß den Nationalsozialismus aktiv bekämpft hat, für den Bestand Österreichs eingetreten ist, den in Deutschland verfolgten Juden Schutz geboten und für seinen Kampf mit dem Leben bezahlt hat. Ein kürzlich erschienenes Buch über den Juliputsch belegt, dass dieser von Hitler persönlich angeordnet worden ist. Hitler hatte erkannt, dass Dollfuß nicht weichen und nicht kollaborieren würde. Wie passt dies mit der Behauptung zusammen, der „Austrofaschismus“ sei ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen? Und wie kommt man zu dem Schluss, Dollfuß hätte Hitler „den Weg bereitet“?

An der Person Engelbert Dollfuß wird überdeutlich, dass man komplexen historischen Ereignissen mit Vereinfachungen in Gut-Böse-Klischees und parteipolitischer Instrumentalisierung nicht näherkommt. Vielmehr braucht es eine offene, sachliche und selbstkritische Diskussion. Vielleicht würde dann auch das tiefe, gegenseitige Misstrauen der beiden Koalitionspartner schwinden.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.07.2014)

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