Frühpension nur für Beamte, nicht für schwer kranke Arbeiter?

Trotz schwerer Erkrankung bekommt ein Arbeiter keine Invaliditätspension. Bei Beamten der Stadt Wien reicht die Diagnose Burn-out oder Rückenschmerzen.

Günter S. ist 53 Jahre alt. Als er 15 war, erkrankte er an Krebs. Nach einer Operation und Bestrahlungen wurde er wieder gesund. Er machte eine Lehre und begann zu arbeiten. Zwei Jahre später verlor er durch einen Unfall ein Auge. Mit 27 heiratete er, drei Kinder wurden geboren. Kurz nach der Geburt des jüngsten Kindes hatte er plötzlich starke Lähmungserscheinungen. Die Diagnose: Multiple Sklerose.

Er und seine Frau waren verzweifelt. Durch einen glücklichen Zufall behandelte ihn ein ausgezeichneter, auf MS spezialisierter Arzt. Dieser nahm ihn in ein neues Programm auf, die Behandlung schlug an. Seither muss er verschiedenste Medikamente einnehmen. Er arbeitete weiter, seine Tätigkeit war körperlich sehr anstrengend. Vor drei Jahren erlitt er einen schweren Herzinfarkt, er musste reanimiert werden, dann folgte die Reha.

Auch seine MS macht ihm zunehmend zu schaffen. Das Arbeitsamt beschied ihm, er sei nicht vermittelbar. Er suchte um eine Invaliditätspension an. Der Antrag wurde abgelehnt. Er müsse wieder eine Arbeit suchen, eben umschulen. Man schlug ihm vor, als Portier zu arbeiten. Doch GünterS. wohnt abgeschieden auf dem Land, derartige Stellen gibt es dort nicht. Nun hat er eine Stelle in einer Werkstatt gefunden, muss täglich zwei Stunden Autofahrt bewältigen, dazu einen Vollzeitjob. Er ist am Limit, nein, eigentlich darüber hinaus.

Susanne P. (Name geändert) ist 47Jahre alt. Sie war Beamtin, doch ihr Job behagte ihr nicht mehr. Sie studierte genau die Symptome von Burn-out. Diese habe sie dann erfolgreich simuliert, gesteht sie offenherzig ein. Vor drei Jahren gelang es ihr, pensioniert zu werden. Danach machte sie die Ausbildung für ihren Traumberuf im Bereich Lebensberatung und eröffnete eine Praxis. Ihre Pension bezieht sie weiter, denn für sie als Beamtin gelten keine Ruhensbestimmungen. Sie ist topfit und zufrieden.

Die Regierung hat die Invaliditätspensionen stark eingeschränkt, zu oft seien diese missbraucht worden, um den vorzeitigen Ruhestand erreichen zu können, heißt es. Die befristete I-Pension wurde gänzlich abgeschafft. Bei über 50-Jährigen wird sie nur mehr in Ausnahmefällen gewährt, sonst wird umgeschult. Nur bei dauerhafter Invalidität wird die I-Pension weiter gewährt. Dass die Behörde die neuen Kriterien sehr streng auslegt, hat Günter S. am eigenen Leib erfahren.

Um nicht missverstanden zu werden: Die Regierung will dadurch und durch die Anhebung des Antrittsalters der Regelpension den Ansturm auf die Frühpension eindämmen. Das ist an sich völlig in Ordnung und war längst überfällig. Doch scheinen die neuen Maßnahmen nur für die ASVG-Versicherten zu gelten, nicht für die Bediensteten von Bund und Ländern.

Negativer Spitzenreiter ist Wien, wo Bedienstete des Magistrats weiter mit durchschnittlich 59 Jahren in Pension gehen – ohne krank zu sein. Bei den Frühpensionierungen liegt das Durchschnittsalter(!) bei gar nur 53Jahren. Betroffen davon sind weniger Schwerarbeiter, sondern vor allem Verwaltungsbeamte. Die Hauptgründe: Burn-out und Rückenschmerzen.

Für jene, die nicht in die Geheimnisse diverser Versicherungssysteme eingeweiht sind, sind diese Fakten logisch nicht nachvollziehbar: Warum darf ein Schwerkranker 53-Jähriger, dessen Krankengeschichte objektiv leicht überprüfbar ist, nicht in Pension gehen, obwohl er nicht mehr arbeiten kann? Wieso wird die vage Diagnose Burn-out oder Rückenschmerzen hingegen problemlos akzeptiert? Wieso schickt die öffentliche Hand 44-Jährige in Pension, statt ihnen eine Umschulung zu ermöglichen?

Offenbar muss man in realitätsfernen Sphären von Ministerien und Magistraten beschäftigt gewesen sein, um so etwas logisch zu finden. Mir als Bürgerin erschließt sich diese Logik jedenfalls nicht. Günter S. hat einfach das Pech, ASVG-Versicherter zu sein. In dieser Kategorie reicht seine Leidensgeschichte nicht aus.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2014)

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