Kein Geld, verzweifelte Lehrer: Das Versagen der Wiener Schulpolitik

Die Stadt Wien hungert die Volksschulen finanziell aus. Damit werden soziale Ungleichheiten und die Segregation der Kinder gefördert, statt diese abzufedern.

Für die Kinder in Ostösterreich ist heute Schulbeginn. In Wien sind Volksschüler in einer besonderen Situation: Bereits im Babyalter haben viele ihrer Eltern hektisch begonnen, eine passende Schule für sie zu finden – das heißt, sie in einer Privatschule anzumelden. Das wird noch schwieriger und teurer, da die Stadt Wien die Unterstützung für Alternativschulen drastisch gekürzt hat (in Alternativschulen gehen ja vor allem Kinder Grün-affiner-Eltern, so offenbar die Logik.)

Das Schreckensbild vieler Wiener Eltern ist es, ihr Kind in die öffentliche Volksschule ums Eck geben zu müssen, und das nicht nur in von Migranten dominierten Bezirken. Selbst Neu-Österreicher, die „bildungsaffin“ sind, wollen nicht, dass ihre Kinder eine Schule besuchen, in der die Schüler mehrheitlich nicht Deutsch sprechen. „Türkisch kann mein Kind schon, es soll gut Deutsch lernen“, bringt es eine Mutter aus Wien-Meidling auf den Punkt. Also nimmt man große Opfer auf sich, um sein Kind in eine Privatschule schicken zu können.

Die Eltern haben mit ihrer Sorge oftmals Recht. Auch wenn sich die Lehrerschaft an Wiener Volksschulen noch so bemüht, es wird ihr das Unterrichten von Politik und Schulverwaltung nicht leichter, sondern schwerer gemacht. Ein Faktor ist die Durchmischung, sowohl in sozialer als auch in ethnischer Hinsicht. Als drastisches Beispiel dient eine Volksschule im 10. Bezirk. Dort herrsche der absolute Wahnsinn, erzählt eine Pädagogin mit Insiderwissen. Sieben Klassen pro Jahrgang, hoher Aggressionslevel der Kinder, kein Platz zum Austoben. Die Lehrerinnen und Lehrer dort sind verzweifelt. Es bleibt ihnen und der Direktorin überlassen, die Situation zu meistern. Es gibt von der Schulbehörde keine organisierte Unterstützung.

Die Lage in Wien ist eine besondere: 57 Prozent der Wiener Pflichtschüler haben nicht Deutsch als Muttersprache; jeder sechste Wiener Volksschüler besucht eine „Problemschule“. Für Zusatzangebote ist kein Geld da, im Gegenteil. Die Gemeinde Wien setzt ab Herbst den Sparstift an und kürzt in den Volksschulen eineinhalb Wochenstunden pro Klasse bei den Zusatzangeboten, also bei Dingen, die eine Schule attraktiv machen oder bei Problemen helfen können.

Dafür bietet Wien die mit großem Trara angekündigte „Gratis-Nachhilfe“ an, auf freiwilliger Basis versteht sich. Man wartet also ab, bis ein Kind leistungsmäßig Probleme hat, und bietet erst dann außerschulisch Hilfe an, anstatt gleich in der Schule anzusetzen. Der Sinn dieser Maßnahme entzieht sich dem logisch Denkenden.

Die finanziellen Mittel für den Sachaufwand sind so knapp bemessen, dass bereits bei Kleinigkeiten die Eltern herangezogen werden müssen. Elternvereine sind mittlerweile oft zu reinen Geldbeschaffern geworden, auf Ersuchen der Direktion sollen sie aushelfen. Das ist wohl nicht Sinn der Sache. Somit verschärft sich für Schulen, deren Schülerinnen und Schüler vorwiegend aus sozial schwachen Familien stammen, die Lage noch. Denn ihre Eltern können nicht einspringen, wenn der Staat zu wenig Geld gibt.

All dies lässt den Schluss zu, dass Wien eine paternalistische Klientelpolitik betreibt. Es soll möglichst wenig Autonomie für die Schulen und für die Schulwahl geben. Was gut für die Kinder ist, bestimmt die Obrigkeit. Probleme darf es nicht geben, Lehrer werden nicht angehört und unterstützt. Durch die Spar- und Vogel-Strauß-Politik werden soziale Unterschiede und Segregation noch verstärkt, statt vermindert.

Man kann die Lehrerinnen und Lehrer nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Es ist Aufgabe der Schulverwaltung und der Politik, Schulen und Lehrkräfte so zu unterstützen, dass ein gedeihlicher Unterricht überhaupt möglich ist. Denn ohne motivierte Lehrer ist es völlig gleichgültig, welches Etikett man auf eine Schule draufhängt, es wird nichts dabei herauskommen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

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