Wieso wegen des Islamismus die Religion an sich infrage stellen?

In Europa wächst die Angst vor dem Islam und die Ablehnung alles Religiösen. Klare Differenzierung zwischen den Religionen und Gläubigen tut jedoch not.

Im Zuge der Debatte um den islamistischen Terror wähnen sich jene im Aufwind, die Religion an sich abschaffen wollen. Angesichts der unglaublichen Brutalität, mit denen die IS-Terroristen unter dem Banner des Islam wüten, werden gleich alle anderen Religionen mit in einen Topf geworfen und verworfen. Da werden Uralt-Argumente wie die Kreuzzüge vorgebracht, deren letzter vor mehr als 600 Jahren (!) stattgefunden hat, und die längst nicht mehr Leitlinie der christlichen Kirchen sind. Sogar das Grüß Gott wollen radikale Atheisten abschaffen.

Die Gleichsetzung mit dem Islamismus ist völlig unzulässig, ebenso die Umkehrung von Tätern und Opfern: Etwa 100Millionen Christen werden derzeit weltweit verfolgt, mehr als alle anderen Anhänger einer Religion. Laut Weltverfolgungsindex trauriger Spitzenreiter ist Nordkorea, gefolgt von Somalia, Syrien und dem Irak. Sie werden vertrieben, vergewaltigt, beraubt, unterdrückt, gefoltert oder gar ermordet. Islam bedeutet wörtlich Unterwerfung, das Gottesgebot steht über allem, „Ungläubige“ haben sich diesem ebenso zu unterwerfen.

Das Christentum hat in einem schmerzlichen Lernprozess die Lektion gelernt, dass die Verbindung von Staatsmacht und Religion letztlich zulasten der Religion geht und gefährlich ist. Die Aufklärung hat das Ihre dazu getan, dass Unterwerfung nicht mehr als Prinzip gilt, sondern Freiheit und kritisches Denken. Es ist längst Geschichte, dass Untertanen die Religion ihrer Grundherren annehmen mussten, oder dass Geistliche politische Ämter bekleideten. Zur Gründungsidee des Christentums gehört die Trennung von Politik, Staat und Religion, also die Aufwertung des Säkularen.

Wir wissen auch zu wenig vom Islam, um die Bedrohung wirklich einschätzen zu können. In der aktuellen Ausgabe der „Zeit“ sagt der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad auf die Frage, ob wir uns vor dem Islam fürchten müssen: „Ja. Gerade wenn wir Muslime sind!“ Es ändere nichts an der Gefahr, die derzeit vom Islam ausgehe, ob die Radikalen diesen nun richtig auslegen oder missbrauchen, so Abdel-Samad. „Die politische Misere in den arabischen Staaten und der wachsende Extremismus machen eine Religion zur Zeitbombe.“ Er sieht Gefahrenpotenzial auch in Europa, wo viele junge Muslime Ohnmacht empfinden und auf die Gewaltbereitschaft, die dem Koran innewohnt, ansprechen. Sie wollen das Reich Gottes auf Erden mit Gewalt durchsetzen, so Abdel-Samad. „Die Welt sollte Angst vor dem Islam haben wie vor dem Faschismus im 20. Jahrhundert.“

In unserer fast schon areligiösen Gesellschaft irritiert es viele, welchen Stellenwert Religion bei Muslimen einnimmt. Es ist jedoch ein Irrtum zu glauben, dem Islamismus mit Bekämpfung der Religionen an sich begegnen zu können. Auch der Atheismus – rassenideologisch im Nationalsozialismus oder materialistisch im Marxismus – hat viele Millionen Tote auf dem Gewissen.

Der Radikalismus sollte uns auch nicht dazu verführen, den Islam und gläubige Moslems pauschal abzulehnen. Umgekehrt sollte mit der Taktik des Verdrängens und Wegschauens Schluss sein. Und es ist notwendig, in der westlichen Welt nicht zuzulassen, dass bestimmte Prinzipien und Werte relativiert werden, wie etwa die Trennung von Religion und Staatsmacht, die Respektierung des demokratischen Rechtsstaats, die Akzeptanz der Gesellschaftsordnung des Gastlandes sowie Respekt und Toleranz für Anders- oder Nichtgläubige.

Was wir infrage stellen müssen, ist, warum es möglich war, die Gewaltbereitschaft und den wachsenden Terror im Namen des Islam in seiner bedrohlichen Gesamtheit zu übersehen. Es ist jedoch nicht akzeptabel, wenn Gläubige aller Religionen diskreditiert werden, die sich um ein Leben im Dienst am Nächsten bemühen. Im Gegenteil: Es ist hoch an der Zeit, sich über den Stellenwert der Religionen und deren Bedeutung für die Kultur und Zukunft der westlichen Welt Gedanken zu machen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin vieler Bücher mit historischem Schwerpunkt. Eben erschienen: „Das Tagebuch der Gräfin Marie Festetics – Kaiserin Elisabeths intimste Freundin“. www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.