Gerechtigkeit und Generationen: Die Schere geht immer weiter auf

Während Ältere von der Wirtschaftskrise kaum betroffen sind, müssen Junge und Familien immer größere Lasten schultern. Zeit, über Gerechtigkeit nachzudenken.

Zwei Meldungen der letzten Tage haben seltsamerweise keine Debatte entfacht:
1. Kinder und junge Menschen sind in Österreich am meisten von Armut betroffen.
2. SPÖ und ÖVP wollen für Familien weniger Geld-, dafür mehr Sachleistungen.

Betrachtet man diese Fakten und unterlegt sie mit aktuellen Zahlen, verbirgt sich darin reichlich Material für heftige politische Debatten. Seit dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise geht die Schere zwischen den Generationeneinkommen besonders stark auseinander. Die aktuelle Studie zur Einkommensverteilung in Europa der deutschen Bertelsmann-Stiftung nennt als Ursache sinkende Einkommen aus Beschäftigung, jedoch steigende aus Pensionen und Vermögen. Am schlimmsten ist die Lage in Südeuropa, wo noch eine enorme Jugendarbeitslosigkeit hinzukommt. Aber auch in Österreich wird die Schere immer größer.

Der Staat gleicht diese Schieflage nicht aus, im Gegenteil. Bei den öffentlichen Transfers profitieren die Älteren in einem viel höheren Ausmaß. Der Demograf Bernhard Hammer hat in seiner Dissertation ein „nationales Transferkonto“ erarbeitet. Fazit: Öffentliche Transfers fließen stärker von der arbeitenden, jungen Bevölkerung an die Älteren, etwa in Form von Pensionen und Leistungen des Gesundheitssystems. Bis 2030 werden sich allein die Kosten für die Pflege verdoppeln. Das widerspricht der verbreiteten Ansicht, dass Familien von staatlichen Transfers besonders profitieren.

Private Transfers, die Hammer ebenfalls berücksichtigt, fließen vor allem von Eltern zu Kindern, wie Kinderbetreuung und finanzielle Zuwendungen. Wie viel von Großeltern an Kinder und Enkel fließt, ist nicht explizit ausgewiesen. Aber es ist davon auszugehen, dass im privaten Bereich viel ausgeglichen wird, was der Staat verabsäumt.

Ein weiteres Faktum: Im jährlichen Armutsbericht sind bei den besonders armutsgefährdeten Personengruppen regelmäßig Alleinerzieherinnen an erster Stelle. Mindestpensionisten gibt es natürlich ebenso, aber sie sind offenbar nicht so zahlreich wie arme Familien.

Und noch eine Schere geht immer weiter auf: jene zwischen den Gehältern am Beginn und jenen am Ende der beruflichen Laufbahn. Aktuell beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen in Österreich der 20- bis 29-Jährigen rund 18.000 Euro brutto im Jahr, jenes der 40- bis 49-Jährigen rund 30.000 Euro und jenes der ab 60-Jährigen rund 40.000 Euro brutto, ist also mehr als doppelt so hoch als jenes der Jungen. Verstärkt wird dieses Gefälle noch dadurch, dass Jüngere eher in prekären Beschäftigungsverhältnissen sind als Ältere.

Das zunehmende Auseinanderdriften der Einkommen hindert nicht nur die Jungen daran, eine gesicherte Existenz oder gar Vermögen aufzubauen, sondern fällt auch den Älteren auf den Kopf: Sie werden aus Kostengründen frühzeitig in Pension geschickt. Die Pensionslast tragen dann wieder die Jungen. Auf den ersten Blick erscheint es schleierhaft, wieso angesichts dieser Fakten die Regierung auf den Gedanken verfällt, Geldleistungen für Familien zu kürzen und sie steuerlich nicht entlastet.

Sieht man sich hingegen die Wahlergebnisse an, so ist es parteipolitisch durchaus logisch, Politik für die Alten zu machen. Denn SPÖ und ÖVP werden überwiegend von Pensionisten gewählt, wie zuletzt das Vorarlberger Wahlergebnis wieder bewies. Es ist daher unwahrscheinlich, dass ein Umdenken stattfindet, selbst bei jenen nicht, die vorgeben, Politik für die Zukunft zu machen, und schon gar nicht bei den mittlerweile übermächtigen Pensionistenvertretern.

Es bleibt die Hoffnung, dass es noch genügend Ältere und Großeltern gibt, denen die Zukunft ihrer Kinder und Enkel nicht gleichgültig ist. Der 1. Oktober, der „Tag der älteren Generation“ als Appell an die Solidarität zwischen den Generationen, ist ein guter Anlass, neu nachzudenken.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.09.2014)

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