Charity und Spendensammeln: Wer ist ein "guter Mensch"?

Das "Gutmenschentum" birgt viele Widersprüche. Man spendet für "Licht ins Dunkel" und tritt gleichzeitig für die Selektion Behinderter ein.

Die Weihnachtszeit ist die Hochsaison der guten Werke: Charity-Punsch, „Licht ins Dunkel“, Spendensammler an jeder Ecke, Erlagscheine in jedem Druckwerk. Es ist die Gelegenheit, sich seines schlechten Gewissens zu entledigen und beruhigt als „guter Mensch“ seine Feiertage zu genießen. Dass das nicht genügt, ist mittlerweile wohl vielen bewusst.

In diese sensible Kerbe schlug unlängst Papst Franziskus mit einer verstörenden Rede am Ende der Bischofssynode. Er sprach unter anderem von der „Versuchung des zerstörerischen Gutmenschentums, das im Namen einer falschen Barmherzigkeit die Wunden verbindet, ohne sie zuvor zu behandeln.“ Es sei „die Versuchung der Gutmenschen“, der Ängstlichen und auch der sogenannten Progressiven und Liberalen. Ausgerechnet der Papst, der von Kritikern selbst oft als „Gutmensch“ apostrophiert wird, verwendet diesen umstrittenen Begriff? Und meinte er nur die Kirche damit?

Nein, auch außerhalb der Kirche gibt es jene zuhauf, die sich moralisch überlegen fühlen, die das Gute von der Gesellschaft einfordern und die all jene, die nicht ihre Ansicht von „Gut“ und „Böse“ teilen, herabsetzen oder gar attackieren. Gerade deswegen gilt es, diesen Begriff vorsichtig zu verwenden, ihn nicht als Kampfbegriff zu benutzen, weil man sich auf dieselbe Ebene begeben würde.

Kritisches Hinterfragen dieser selbstgerechten Geisteshaltung, meist gepaart mit „politischer Korrektheit“, ist dennoch angebracht. Der „Gutmensch“ ist stets auf der Seite derjenigen, die recht haben und die keine andere Anschauung gelten lassen. Er hilft nicht selbstlos und bescheiden, sondern demonstrativ. Aber eigentlich will er mit den Empfängern seiner Hilfe, den Objekten des Guttuns, nichts zu tun haben. Seine Hilfe ist oberflächlich und geht nicht an den Kern des Problems.

Mitunter meint er, Wunden zu heilen, zu deren Entstehen er aber selbst beigetragen oder deren Ursachen er gutgeheißen hat. Das Richtige und Gute wird nur selektiv angewendet, nach eigenen subjektiven Kriterien.

So gibt es beispielsweise jene, die sich bei „Licht ins Dunkel“ für die Unterstützung behinderter Kinder einsetzen und eifrig Spenden sammeln. An sich ein ehrenwertes und wichtiges Anliegen – jedoch nicht, wenn man es zeitgleich in Ordnung findet, dass behinderte Kinder nicht das Licht der Welt erblicken dürfen.

Es ist auch einfach, von der Bequemlichkeit einer gutbürgerlichen Innenstadtwohnung aus Toleranz gegen Ausländer einzumahnen. Lebte man selbst im Gemeindebau Tür an Tür mit Migranten – dort, wo die Gegensätze mitunter ungebremst aufeinanderprallen, sieht die Sache anders aus. Dort ist echte Toleranz gefordert.

Um wirklich helfen zu können, ist mitunter eine schmerzhafte Wahrheit und Einsicht, eine Anstrengung des Hilfsbedürftigen notwendig. Der „Gutmensch“ plädiert etwa dafür, Migranten aufzunehmen und mit den Wohltaten des Sozialstaats zu überschütten. Alle, die dies infrage stellen, werden als Ausländerfeinde klassifiziert. Man tut diesen Menschen aber nichts Gutes, wenn man nichts von ihnen fordert.

Kurzfristig werden sie die Wohltaten zwar gerne annehmen. Doch in Wahrheit nimmt man ihnen die Würde, weil man ihnen nichts zutraut, und man nimmt ihnen die Chance, selbst etwas zu ihrer neuen Existenz beizutragen und heimisch zu werden. Das zeigt sich etwa in dem Versäumnis, konsequent und vehement Deutschkenntnisse und schulische Leistungen einzufordern. Statt Dankbarkeit erntet man bald Wut und Ablehnung. Das ist heute deutlich bei vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen.

Wirklich und ernsthaft das Gute zu wollen, geschieht ohne Rücksicht auf politische Korrektheit und den Applaus derjenigen, die immer auf der richtigen Seite stehen wollen. Ich wünsche Ihnen in diesem Sinne frohe Weihnachten!

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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