Ist liberal immer gut? Anzeichen für einen neuen Konservativismus

„Liberal“ scheint in der öffentlichen Wahrnehmung das Synonym für „gut“ zu sein. Aber immer mehr junge Menschen schätzen „retro“ und stabile Beziehungen.

Als konservative Frau, die publizistisch tätig ist, bin ich Vertreterin einer sehr überschaubaren Gruppe. „Konservativ“ wird oft mit „reaktionär“ gleichgesetzt. Man wird manchmal ins „rechte“ = böse Eck gestellt, man verspürt oft starken Gegenwind vom Mainstream. Der ist nämlich „modern“, „fortschrittlich“, „tolerant“ und „gegendert“. Also „liberal, links und gut“.
Meine Generation wurde an den Universitäten und im öffentlichen Diskurs von den Alt-68ern geprägt. Die erste Vorlesung meines Geschichtestudiums thematisierte das Jahr 1968. Fasziniert hing ich an den Lippen des charismatischen Professors, der uns begeistert die damaligen Revolten schilderte.

Nun ist die Generation der 68er in Pension, und die Welt hat sich gewandelt. Sie ist sehr unübersichtlich geworden. Es wurde so ziemlich alles niedergerissen und relativiert, was möglich ist: nicht nur geografische Grenzen, sondern auch die Normen des Zusammenlebens, Werte, Religion, Geschlechterrollen, das traditionelle Familienbild etc. etc. Und dabei wurde nicht darauf geachtet, welche Leitbilder man vielleicht hätte beibehalten sollen.

Die nachfolgende Generation, jene der heute 20- bis 30-Jährigen, hat offenbar nicht die Absicht, auf diesem Weg weiterzugehen. Sie haben die Schattenseiten des totalen Liberalismus kennengelernt. Die Konkurrenz am Arbeitsmarkt und im Studium nimmt durch die offenen Grenzen zu. Familien sind vielfach zu unübersichtlichen Puzzles, feste Anstellungen und eine sichere Pension zu unrealistischen Wunschträumen geworden. Das als Multikulti glorifizierte Modell des Zusammenlebens ist gescheitert und einer Islam-Hysterie gewichen.
Als Gegentrend gibt es bei dieser Generation eine vermehrte Sehnsucht nach dem Früheren, der Zeit vor dem Liberalismus und Konsumismus. Retro ist in. Das zeigt sich nicht nur an den wieder in Mode gekommenen Möbeln der 1950er- und 1960er-Jahre, an der Sehnsucht nach Geborgenheit in festen Beziehungen, dem „trauten Heim“. Selbst Kochen und Backen ist bei den Jungen wieder in, das in meiner Jugend noch als höchst uncool galt. Die Jugend ordnet nicht mehr alles der Karriere unter, sie will mehr Zeit für Freunde und Kinder haben. Diese Generation will es anders machen, als sie es selbst erlebt hat. Sie will ihre Kinder nicht nur schlafend sehen, sondern den Alltag mit ihnen erleben. Sie kennen die Schattenseiten der Scheidungen und Patchwork-Familien, der abwesenden Väter, der völlig überlasteten Vollzeit-Mütter, des Schlüsselkind-Daseins.

Es ist keineswegs „modern“– wie die Babyboomer, die mittlerweile in Politik und Wirtschaft an den Schalthebeln sitzen, noch immer glauben – alles zu liberalisieren. Es gab einfach zu viele Irrtümer und Irrwege, als dass ihnen die Jugend das noch glauben wollte. Nehmen wir den Umweltschutz: Die Liberalisierung der Märkte und der grenzenlose Warenverkehr haben zu einer Verkehrshölle geführt, zur ungehemmten Klimaerwärmung. Wirksame Gegenmaßnahmen liegen einzig in der Restriktion, dem Aufbauen von Beschränkungen, Grenzen. Das ist im Bereich der Gesellschaftspolitik nicht anders.

Die fahrlässige Multikulti-Einstellung, die in Wahrheit eine Politik des Nicht-Handelns war, hat zu enormen Spannungen geführt. Die muslimische Jugend ist ein Paradebeispiel für einen Backlash zum Konservativismus. In dieser überzogenen Form ist diese Rückkehr in die Vormoderne allerdings fatal.

Vieles geht einfach zu schnell, zu unüberlegt, zu hastig. In Wahrheit ist es heute angebracht, auf die Bremse zu steigen, sich Zeit zu lassen, zu überlegen, ob das Neue tatsächlich besser ist als das Alte; ob das Beseitigen einer Schranke tatsächlich zu einer Verbesserung führt oder aber direkt ins Chaos.

So betrachtet, ist ein neuer Konservativismus „modern“ und sehr angebracht. Er hilft dabei, sich nicht von Moden und dem Zeitgeist jagen zu lassen, sondern selbst nachzudenken.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2015)

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