Bitte keine Menschenjagd, auch nicht auf „Steuersünder“!

Statt ihre Hausaufgaben endlich zu erledigen – Stichwort Pensions- und Verwaltungsreform – nimmt die Regierung als Ablenkung alte Feindbilder ins Visier.

Als gelernter Österreicher hatte man es ja von Anfang an geahnt: Die Steuerentlastung wird relativ gering werden, und wir werden sie uns selbst bezahlen. Auf Einsparungen bei den Ausgaben des Staates, auf den großen Wurf einer Verwaltungsreform werden wir weiter (vergebens?) warten. Dafür dürfen wieder alte Feindbilder herhalten: die „Reichen“ und die „Steuersünder“.

Nach mehr als 60 Jahren sozialistischer Umverteilungspolitik sind in Österreich jedoch nur mehr wenige hundert reiche Menschen übrig geblieben. Von denen ist in Summe nicht mehr allzu viel zu holen, um das Budget halbwegs zu retten. Also erhöht man, wie stets in der Vergangenheit, die Massensteuern und „jagt Steuersünder“. Bereits die Diktion ist höchst fragwürdig: Erstens ist eine Jagd auf Menschen ein höchst aggressiver Terminus, und zweitens ist er voreilig. Dabei müssen sich auch die Medien an die Brust schlagen, die diesen fragwürdigen Begriff eifrig aufgegriffen und weiter verbreitet haben.

Um es klar zu stellen: Es ist völlig legitim zu verlangen, dass, wie jeder Unselbstständige, auch die Selbstständigen ihre Steuern abliefern, aucht wenn diese Steuern obszön hoch sind und bereits eine teilweise Enteignung und Bestrafung von Leistung darstellen. Die Strafen sind ja auch entsprechend hoch, wenn man bei einem Steuervergehen ertappt wird. Im Hinblick auf unselbstständig Erwerbstätige, die keine Chance haben, der Geldgier des Staates zu entkommen, ist Steuerbetrug auch ungerecht. Denn es gibt sie, die Friseurin mit gutgehendem Salon, die ihren Kundinnen prinzipiell keine Rechnung stellt und ausschließlich Bargeld annimmt. Und es gibt die Wirte, die Speisen und Getränke „schwarz“ verkaufen. In Summe läppert sich das. Italien ist in Sachen Registrierkassa eines der strengsten Länder in Europa. Wehe, man wird von der Finanzpolizei ohne scontrino erwischt. Dennoch steht Italien finanziell am Abgrund, und diese Maßnahme wird auch Österreichs Budget nicht retten.

Bei so viel Hysterie um die „Steuersünder“, die unsere Regierung entfacht, ist Misstrauen angebracht. Einerseits kann die Politik so vom eigenen Fehlverhalten ablenken, dringende Reformen noch immer nicht umgesetzt zu haben (man nehme etwa das Pensionsantrittsalter der Wiener Beamten und der Eisenbahner). Andererseits treibt sie selbst die Menschen ins Kriminal, weil sie immer mehr, immer öfter und immer kompliziertere Steuergesetze fabriziert, die niemand mehr nachvollziehen, geschweige denn einhalten kann. Somit ist jeder, der Einkommen aus selbstständiger Arbeit bezieht, ein potenzieller, künftig „gejagter Steuersünder“.

Dazu kommt, dass diese Kampagne vermehrt dazu führen wird, dass Bürger einander munter denunzieren. Es gibt ja die Möglichkeit der anonymen Anzeige, schon steht ein Finanzbeamter vor der Tür und prüft alles bis ins letzte Detail, über Jahre hinweg. Und wehe, man findet die Kontoauszüge von vor neun Jahren nicht!

Selbst wenn man sich um teures Geld einen Steuerberater leistet, ist man keineswegs aus der Verantwortung, dieser übernimmt nämlich keine Haftung oder Garantie, dass alles passt. Die Experten klagen selbst, dass der Wust an Vorschriften kaum mehr durchschaubar ist.

Es ist auch ihnen kaum mehr möglich, wasserdichte Steuererklärungen abzugeben. Es ist also nicht zu viel verlangt, wenn neben dem berechtigten systematischen Vorgehen gegen Steuerbetrug endlich die Steuergesetze vereinfacht werden. Das würde nicht nur dem Staat viel Geld ersparen, sondern auch den Steuerpflichtigen endlich Rechtssicherheit verschaffen.

Der Politik sei ins Stammbuch geschrieben, dass unter ihren Reihen die größten „Sünder“ zu finden sind, die uns allein in den letzten Jahren mehrere Milliarden gekostet haben! Die verschleppten Reformen werden uns künftig weitere Milliarden kosten. Statt mit der Devise „haltet den Dieb“ nur gegen die Bürger vorzugehen, müsste sie vor allem vor der eigenen Tür kehren.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2015)

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