Unsichtbare Bedrohung Atom: "Strahlende" Frühlingstage 1986

Schwere Unfälle in Kernkraftwerken, der Bau von noch mehr AKW, Putins Bemerkung über den Atomwaffeneinsatz: Der Wahnsinn ist noch nicht zu Ende.

Der 26. April 1986 hat sich ähnlich ins Gedächtnis gebrannt wie der 11. September 2001. Es war ein strahlend schöner Frühlingstag. Zwei Tage später kamen im Radio die ersten Meldungen: Dass es im AKW Tschernobyl in der Ukraine eine Havarie gegeben habe und dass in Westeuropa stark erhöhte Strahlungen gemessen würden. Wir bekamen Angst. Bald wurde es Gewissheit, die Nachrichten wurden immer schrecklicher. Trotz der herrlich warmen Tage durften die Kinder nicht draußen spielen, alle vermieden es, ins Freie zu gehen. Der Gemüsegarten blieb unbepflanzt. Es war gespenstisch, auf den Straßen waren nur ältere Leute unterwegs.

Der Großraum Tschernobyl ist immer noch unbewohnbar, die Folgen für die Menschen sind nicht genau dokumentiert. Jahre später wurde ich zu einer Besichtigung des AKW Dukovany, nahe der Grenze bei Laa an der Thaya, eingeladen. Zu der Zeit fanden weiter westlich Demonstrationen gegen das AKW Temelín statt. Bei unserem Ausflug verlief alles friedlich. Man zeigte uns einen Film von Bäumen, die früher durch den sauren Regen eingingen, und von einer Kuh, die nun neben dem AKW auf einer grünen Wiese weidet.

Man führte uns durch Hallen, wir zogen Schutzanzüge und Überschuhe an, testeten die Strahlung mit dem Geigerzähler. Man zeigte uns einen simplen Container außerhalb des AKWs; drinnen seien seit Jahren die ausgebrannten Brennstäbe gelagert, man wisse nicht, wohin damit. Am Schluss tranken wir mit den AKW-Chefs ein Gläschen Schnaps. Es war eine skurrile Szene.

Als die Nachricht des GAUs des AKWs Fukushima vor vier Jahren kam, überfiel einen wieder dieses beängstigende Gefühl wie 1986. Welche Auswirkungen würde dies haben, für wie viele Generationen? Inzwischen denkt die japanische Regierung bereits daran, die Atomkraft weiter auszubauen; in einem Land, das auch die atomare Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki erleiden musste.

Den Gipfel des Wahnsinns erreichte der russische Präsident, Wladimir Putin, als er vor Kurzem ganz nebenbei erwähnte, er hätte beim Raub der Krim auch Atomwaffen eingesetzt. Haben wir nicht gedacht, dass der Kalte Krieg längst vorbei sei? Jene Zeit, als die Drohung mit dem Atomschlag zum Repertoire der „Abschreckung“ gehörte? Heute droht man gar nicht erst, sondern für einen Machthaber wie Putin zählen Kernwaffen zum selbstverständlichen Mittel der Kriegsführung.

Fehler in der Anwendung der Atomkraft können die Lebensgrundlagen des Menschen auf unabsehbare Zeit zerstören. Atomkraft ist letztlich, auch wenn sie friedlich genützt wird, nicht völlig beherrschbar. Wir spielen mit der Existenz der Menschheit über Generationen hinaus, das Risiko ist enorm im Vergleich zum Nutzen. Das Argument, die Atomkraft sei „sauber“ und man verhindere so die Erderwärmung, ist zynisch.

Die Österreicher wurden damals, acht Jahre vor Tschernobyl, verlacht, als sie der Atomkraft abschworen. Heute meinen manche, es sei lächerlich, dass sich österreichische Politiker gegen den Neubau eines britischen AKWs mit EU-Förderung aussprechen.

Ganz im Gegenteil: Wir dürfen diesen Wahnsinn nicht auch noch mit unserem Geld zu fördern. In Österreich bleibt uns als Hausaufgabe allerdings, auch keinen Atomstrom zu importieren. Denn sonst ist es verlogen, den Trendsetter und Moralapostel zu spielen.

Italien schloss nach der Katastrophe von Tschernobyl seine AKWs, die Italiener haben diesen Entschluss vor Jahren bei einem Referendum bestätigt. Deutschland steigt unter dem Eindruck von Fukushima ebenfalls aus der Atomkraft aus, das ist grundvernünftig. Ob dieses Ziel auch unter einer anderen Regierung und beim Auftreten von Energieproblemen weiterverfolgt wird, bleibt abzuwarten. Es ist zu hoffen, dass auch in vielen anderen Ländern, die auf Atomkraft oder Atomwaffen setzen, bald die Vernunft einkehrt. Wahrscheinlich ist es nicht.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2015)

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