Eugenik: Wie lebenswert "lebensunwertes Leben" sein kann

Bei Fehlbildungen abzutreiben, sei "notwendig", meint Gesundheitsministerin Oberhauser. Betroffene Mütter, Väter und Behinderte sehen das oft völlig anders.

Bereits mehrmals war ich der Mutter mit dem kleinen Buben begegnet. Sie wirkte stets gut gelaunt, der Kleine lachte fröhlich, radelte mit seinem Dreirad oder rutschte auf dem Spielplatz. Dennoch ist er kein Kind wie alle anderen, denn er hat offensichtlich Trisomie 21. Kürzlich plauderten wir bei einer Zugfahrt. Wie sehr ich sie bewundere, wie sie das mache mit dem Kleinen. Dabei wirke sie so entspannt, wo es doch sicher recht anstrengend sei mit einem behinderten Kind.

Sie sah mich erstaunt an. Sie und ihr Mann hätten große Freude mit ihrem Lukas. Zuvor habe sie drei Fehlgeburten gehabt, erzählte sie. Während der Schwangerschaft schien alles in Ordnung, alle Tests ergaben, dass sie ein gesundes Kind zur Welt bringen würde. Bei der Geburt stellte sich dann heraus, dass es Trisomie 21 habe. „Kurz waren wir geschockt. Aber dann haben wir uns gefreut, dass wir überhaupt ein Kind haben. Der Lukas ist ein so fröhliches Kind, er ist ein Sonnenschein!“ Ich war zutiefst beschämt. Wie hatte ich sie nur bedauern können?

Kurze Zeit später kochte die Debatte über die eugenische Indikation hoch. Einige engagierte Politiker forderten die Abschaffung der eugenischen Indikation. In Österreich ist ja die Abtreibung eines behinderten Kindes bis zur Geburt nicht strafbar. Viele Menschen unterschrieben eine Petition und erhielten vor Kurzem die Antwort von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser. Darin ist die Rede von „Qualitätskontrolle“, vom Recht auf Abtreibung und von der „Notwendigkeit“ eines Abbruches wegen schwerer geistiger oder körperlicher Schädigung. Es dürfen weder Druck auf Schwangere ausgeübt noch Schuldgefühle erzeugt werden.

Es ist wohl klar, dass bei akuter Gefährdung des Lebens der Frau ein Abbruch straffrei sein sollte. Ebenso sollten aber auch Begrifflichkeiten und scheinbar objektive Kriterien kritisch hinterfragt werden. Was heißt „Qualitätskontrolle“? Wie sicher sind Testergebnisse? Sehr häufig führen Tests zu falschen Ergebnissen, es werden Fehlbildungen prognostiziert und dann vollkommen gesunde Kinder geboren und umgekehrt. Welche Fehlbildungen machen einen Abbruch „notwendig“? Welche Beratungen und Hilfestellungen gibt es vor dem Abbruch? Nur den behandelnden Arzt, der dann gar noch die Abtreibung durchführt?

Diese Fragen wurden bisher nicht diskutiert. Es darf nicht einmal Zahlen zu Abtreibungen und Motiven geben. Alles läuft im Verborgenen ab. Vorbild könnte Deutschland sein, wo es nicht nur eine gute Datenlage, sondern auch eine sachliche Debatte zum Thema gibt. Die Spätabtreibung allein wegen Behinderung des Kindes ist in Deutschland strafbar. Es wird Beratung und Hilfestellung für Schwangere in einem Abtreibungskonflikt angeboten. Der Erfolg stellte sich bereits ein: Die Abtreibungszahlen gehen zurück.

Frauen, die an Abtreibung denken, sind in einer akuten Notsituation, stehen unter enormem Druck, haben natürlich Schuldgefühle. Dass man die Möglichkeit, bis zur Geburt abtreiben zu dürfen, straffrei stellt, wird ihnen all dies nicht nehmen. Es ist nicht ehrlich, sie allein zu lassen, ihnen keine Alternative zu bieten, von einer „Notwendigkeit“ zu sprechen, und dann zu behaupten, man dürfe keinen „Druck“ aufbauen.

Bei dem immer dichter gewobenen Fahndungsraster nach Fehlbildungen während der Schwangerschaft stehen all jene unter Druck, die trotz der Möglichkeit einer Behinderung Ja zu ihrem Kind sagen. Eine Gewissheit gibt es nicht, nur Wahrscheinlichkeiten. Von einer Notwendigkeit zu sprechen, behinderte Babys abzutreiben, ist höchst problematisch. Dies impliziert, dass man behinderten Menschen das Recht auf Leben und die Chance auf ein (trotzdem) erfülltes Leben generell abspricht.

In Wien fand jüngst das Trisomie 21 Festival statt. Es wäre ein lohnendes Erlebnis für Entscheidungsträger gewesen, vielleicht auch für die Gesundheitsministerin Oberhauser.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2015)

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