Angst und Erleichterung 1945: Ein herrlicher April im Bombenhagel

Die Erinnerungen an die letzten Kriegstage prägen noch heute die Überlebenden. Auch heute leben Kriegstraumatisierte als Flüchtlinge mitten unter uns.

Es waren strahlende Frühlingstage, dennoch war alles völlig anders: Viele Häuser waren zerstört, Ruinen prägten das Bild der Städte, die Menschen räumten Schutt weg und suchten Nahrung. Das Gezwitscher der Vögel fehlte, denn sie hatten die Druckwellen der Bomben nicht überstanden. Im April 1945 hatte der Krieg, der „Endkampf“, Österreich längst erreicht. Noch am 25.April, wenige Tage vor der Kapitulation, wurden die letzten Angriffe auf Linz geflogen. Die Befreiung war von Bomben und Angst, aber auch von Hoffnung und Erleichterung begleitet.

Es war die Zeit der Anarchie, des Chaos. Ungeheure Flüchtlingsmassen strömten ins Land, die meisten aus Osteuropa, etwa dem Sudetenland, dazu heimkehrende Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Insgesamt schätzt man die Zahl auf 1,6 Millionen Menschen. Österreich hatte damals sechs Millionen Einwohner. Man nannte diese Menschen DPs, Displaced Persons.

Gigantische Flüchtlingslager wurden eingerichtet. Die Bevölkerung an den Orten, wo sich besonders viele Flüchtlinge befanden, beschwerte sich, dass diese besser ernährt würden als die Einheimischen. Es war unmöglich, alle auch nur mit dem Nötigsten zu versorgen. Hatte die Lebensmittelversorgung während des Krieges noch halbwegs funktioniert, so brach sie jetzt völlig zusammen, die Menschen hungerten.

1,2 Millionen Soldaten der deutschen Wehrmacht hatten auf österreichischem Boden kapituliert, es wurden riesige Kriegsgefangenenlager errichtet. Auch die Gefangenen mussten versorgt werden, mit Hilfe der Alliierten. Insgesamt erreichten 1,5 Millionen Besatzungssoldaten Österreich. Die russischen Soldaten nahmen, was sie kriegen konnten – auch die Frauen. Die massenhaften Vergewaltigungen damals waren lang ein Tabu.

Die Lage geriet völlig außer Kontrolle, es gab anfangs keine ordnende Gewalt: Raub, Mord, Plünderungen, Diebstahl, Schleichhandel, Verschleppungen standen auf der Tagesordnung. Einheimische, Soldaten und Flüchtlinge waren die Täter. Für die anderen wurde das Hamstern zur Überlebenstaktik.

Die ältere Generation erinnert sich meist noch lebhaft an diese Zeit, die sie als Kinder erlebte. Sie berichten von den Schrecken und der Freude über das Ende des Krieges, von Abenteuern, dem Experimentieren mit gefundenen Schusswaffen und Handgranaten. Das verlassene Schlachtfeld war ein gefährlicher Spielplatz. Ein Zeitzeuge erinnert sich, dass sie als Kinder besonders von den afroamerikanischen Soldaten fasziniert waren, sie hatten noch nie Schwarze gesehen. Diese waren sehr freundlich und schenkten den Kindern Kaugummi und Schokolade. Manche Kinder überwanden ihre Scheu und versuchten, an den Soldaten zu lecken. Sie dachten, diese wären auch aus Schokolade.

Die schrecklichen Erlebnisse dieser Zeit prägten die Menschen tief – so tief, dass manche noch heute beim Heulen einer Sirene in Angstzustände verfallen. Eine Studie zeigte, dass heute rund die Hälfte der Kinder in Europa ab neun Jahren am meisten Angst vor Krieg und Terror haben. In Österreich leben viele Menschen, die unmittelbar betroffen sind und selbst ein Kriegstrauma erlebt haben.

Man denke nur an die Tausenden, die vor dem schrecklichen Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien nach Österreich flohen und hier eine neue Heimat fanden. Oder an die Flüchtlinge aus Tschetschenien, aus Syrien, aus Bürgerkriegsländern in Afrika. Die Liste ließe sich lang fortsetzen. Sie kommen hierher in ein Land, dessen letzter Krieg Gott sei Dank schon längst Geschichte ist – und wo dies hoffentlich auch so bleibt.

Österreich hat zu Kriegsende Hunderttausende aufgenommen, ohne selbst ausreichend auch nur mit dem Nötigsten versorgt zu sein. Vielleicht hilft die Erinnerung an die Apriltage 1945, dass wir für Menschen in Not mehr Verständnis aufbringen sollten und wir vermehrt zur Hilfe bereit sind.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2015)

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