Volkssport Politikerbeschimpfung: Den Schaden hat die Demokratie

Angesichts der Dauerschelte für Politiker und ihre Ämter schrecken viele honorige Personen davor zurück, öffentlich aktiv zu werden. Wollen wir das?

Derzeit gedenken wir ausgiebig der „Gründerväter“ der Zweiten Republik: Figl, Raab, Renner, Schärf, Gruber, um nur einige zu nennen. Obwohl manche von ihnen schwere Fehler machten, werden sie bis heute gewürdigt. Früher war der Respekt vor Politikern generell groß, wenn man die damaligen Zeitungsberichte liest, so sind diese in einem beinahe ehrfürchtigen Ton gehalten. Dies fand einen Höhepunkt bei Bruno Kreisky, dessen Verehrung bis heute andauert. Danach fiel die Kurve ab.

Heute leben wir in einer Zeit, in der Politikerschelte zum guten Ton gehört, nicht nur am Stammtisch, sondern auch in den Medien. So fällt etwa bei Interviews auf, dass Journalisten den Bundeskanzler meist patzig als „Herr Faymann“ ansprechen, oder den Finanzminister als „Herr Schelling“ und nicht als „Herr Minister“. Zu Kreiskys Zeiten hätte es niemand gewagt, diesen in den legendären Pressefoyers einfach als „Herr Kreisky“ anzusprechen, sondern stets nur als „Herr Bundeskanzler“.

Journalisten meinen oft, kritisches Hinterfragen und geistige Unabhängigkeit drückten sich darin aus, dass sie mit Politikern besonders respektlos umgehen. Man hört aus den Fragestellungen und der Anrede öfter richtiggehend heraus, dass sie ihren Interviewpartner für einen Idioten halten. Eine respektvolle Haltung aber hat nichts mit einem Kotau vor der betreffenden Person oder Politikern insgesamt zu tun, auch nicht damit, ob man die Person für fähig oder unfähig hält. Es geht auch nicht darum, dass die Person, die ein politisches Amt bekleidet, sich damit jeglicher Kritik entzieht.

Im Gegenteil: Wer viel Verantwortung trägt, der muss sich besonders genau auf die Finger schauen lassen. Vielmehr geht es um den Respekt vor dem Amt, um den Respekt vor dem Souverän, also dem Bürger, der dieses Amt verliehen hat.

Die Trennung von Amt und Person ist die eine Ebene, die zweite ist die Trennung von sachlicher und persönlicher Ebene. Im Hinblick auf sachlich geführte Debatten ist Österreich ein echtes Entwicklungsland. Selten gelingt es bei Kritik, diese einzig auf die Sachebene, auf die Handlungen einer Person zu beziehen, ohne diese gleich an sich abzuqualifizieren und niederzumachen. Das gilt nicht nur für Medien. Auch Politiker untereinander schädigen ihren Berufsstand, wenn sie respektlos miteinander umgehen und untergriffig argumentieren.

Zugegeben: Es fällt oft schwer, angesichts so mancher Person in mächtiger Position dem Amt, das sie ausfüllt, Respekt zu erweisen. Da geht es oft gar nicht um Politiker, die vor dem Strafrichter und im Gefängnis landen, sondern um eklatante Unfähigkeit. Oft zeigt sich darin nicht der Wählerwille, denn da wir in einer Partitokratie leben, können wir nur unter Parteien, nicht unter Personen wählen. Der Respekt fiele uns leichter, wenn wir selbst die Persönlichkeiten wählen dürften.

Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in der Demokratie. Sie ist bei uns auch juristisch sehr weit gefasst, vor allem im Bereich der Politik. Heute kann man Politiker öffentlich so ziemlich alles heißen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Das kann im Fall des Kabaretts recht unterhaltsam sein.

Einem Politiker muss auch klar sein, dass er öffentlicher Kritik standhalten muss und nicht gleich beleidigt sein darf. Mit dem generellen Heruntermachen demokratisch legitimierter Personen und deren Ämter aber beschädigen wir auch die Demokratie und uns selbst. Denn wer wird sich noch für ein öffentliches Amt zur Verfügung stellen, wenn er damit zum Freiwild erklärt wird, wenn er sich öffentlich beschimpfen und respektlos behandeln lassen muss, ohne sich wehren zu können? Wollen wir wirklich nur noch Politiker mit dicker Haut?

Politikerschelte und Respektlosigkeit sollten ihre Grenzen haben, die wir selbst festlegen. Wir Medienleute könnten da mit gutem Beispiel vorangehen. Vielleicht sind honorige und fähige Persönlichkeiten dann in Zukunft öfter bereit, ein politisches Amt zu übernehmen!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt. Eines davon:

„Bomben, Hamstern,

Überleben. Österreich 1945.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2015)

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