Die Pyramide wird zum Kelch: Das Schwinden der produktiven Kräfte

Wir halten einen Rekord bei der Zahl der Arbeitslosen, dafür steigt die Zahl der Pensionisten dramatisch. Wer ist eigentlich noch produktiv tätig in Österreich?

Bei all den Diskussionen über die Steuerreform, wer davon profitiert und wer sie zu zahlen hat, verliert man leicht den Überblick. Gehen wir einmal weg von den Details und schauen uns an, wer in Österreich eigentlich zu jenen Bürgern zählt, die das gesamte Solidarsystem finanzieren. Wer ist eigentlich (noch) produktiv tätig in diesen Land? Wer erwirtschaftet den Wohlstand, den die Politik dabei ist zu verspielen?

Der Anteil jener an der Bevölkerung, die am Tropf des Staats hängen und ganz oder teilweise ihren Lebensunterhalt vom Staat bezahlt bekommen, ist beträchtlich: Arbeitslose, Schulungsteilnehmer, Sozialhilfeempfänger und, als größte Gruppe, die Pensionisten.

Ihre Zahl steigt rasant: einerseits aufgrund der schlechten Wirtschaftslage, andererseits aufgrund der Demografie. Auch falsche Politik leistet ihren Beitrag, etwa die Belastungen für die Wirtschaft durch hohe Abgaben und zu viele Vorschriften und das zu frühe Pensionsantrittsalter. Derzeit halten wir bei einem Stand von immerhin 2,7 Millionen Pensionisten und Rentenempfängern. Im Gegenzug sind etwas mehr als vier Millionen Bürger erwerbstätig.

Das ist die Situation heute. Aufgrund der Bevölkerungspyramide können Experten ziemlich exakt vorhersagen, dass sich die Situation in naher Zukunft zuspitzen wird. Manche von ihnen prognostizieren, dass bereits ab 2017 das System kippen wird. Bei dem derzeitigen Verhältnis erscheint dies durchaus realistisch. Bald gehen nämlich die Babyboomer in Pension, womit sich die Pyramide auf den Kopf stellt und zu einem Kelch wird, einem bitteren Kelch für beide Seiten.

Die Zuwanderung, die als Allheilmittel für die abnehmende Zahl der Beitragszahler gepriesen wurde, löst in der bisherigen, ungeregelten Form das Problem nicht. Ein erheblicher Anteil der derzeit 360.000 Arbeitslosen besteht heute nämlich aus schlecht qualifizierten Migranten, womit diese ebenfalls am Tropf hängen. Wenn man sich vorstellt, dass in Zukunft noch mehr Arbeit durch Computer und Roboter ersetzt wird, kann man sich leicht ausmalen, dass schlecht qualifizierte Zuwanderer das Problem des Generationenvertrags nicht lösen, sondern eher verschärfen werden. Gut qualifizierte Zuwanderer, etwa junge Menschen aus den Krisenländern Italien und Spanien, werden wir hingegen zunehmend brauchen.

In Österreich gibt es 463.600 Selbstständige, 40 Prozent von ihnen beschäftigen Mitarbeiter. Klein- und mittelständische Unternehmen geraten immer mehr unter Druck. Angesichts dieser Lage ist es unverständlich, dass gegen Unternehmer polemisiert wird, Steuern in diesem Bereich erhöht und Investitionen erschwert werden. Das Gegenteil wäre notwendig: Die Regierung müsste alles tun, um die produktiven Kräfte in diesem Land ernsthaft zu unterstützen und zu motivieren. Leistung müsste generell, auch bei den Unselbstständigen, belohnt statt bestraft werden. Und außerdem sollten die Regierenden sich schleunigst Gedanken darüber machen, wie in Zukunft die Balance zwischen Erwerbstätigen und unproduktiven Kräften aussehen soll. Denn die Leistungsgrenze der Produktiven ist bereits jetzt erreicht, wenn nicht überschritten.

Es ist kein Zufall, dass sich Widerstand zu formieren beginnt. So etwa ruft die Initiative „Politreform jetzt“ heute zu einer Demonstration gegen die Politik der Regierung auf. Die Proteste der Packesel der Nation werden in Zukunft sicher noch lauter.

Noch schlimmer ist der stille Protest: Es darf nicht sein, dass junge, gut ausgebildete Österreicher aufgrund unattraktiver Arbeitsbedingungen, hoher Steuern und/oder relativ geringer Entlohnung in immer größeren Scharen das Land verlassen. Denn Bildung, Kreativität und unternehmerischer Geist sind die Trümpfe für ein kleines Land im globalen Wettbewerb. Es ist also eine der großen Herausforderungen, in Österreich nicht nur für gute Bildung zu sorgen, sondern attraktiv für gut qualifizierte Menschen zu bleiben oder wieder zu werden.

E-Mails an:debatte@diepresse.comDie Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2015)

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