Scheinbare Vielfalt der Waren: Die Mariahilfer Straße ist überall

Zum Shoppen nach Berlin, Madrid oder Rom zu reisen, ist höchst überflüssig. Man findet überall die gleichen Handelsketten vor.

Zum Shoppen nach Berlin, Madrid oder Rom zu reisen, ist höchst überflüssig. Man findet überall die gleichen Handelsketten vor.

Als ich das erste Mal auf dem legendären Kurfürstendamm in Berlin flanierte, war ich sehr überrascht. Es sah dort genau so aus wie auf der Mariahilfer Straße, die Geschäfte waren ident, selbst die Atmosphäre war ähnlich. In anderen europäischen Hauptstädten ist es mittlerweile ebenso. Fand man etwa in Rom vor zehn Jahren noch kaum internationale Handelsketten, so hat sich das inzwischen radikal geändert. Exakt dieselben Modehäuser, die auch Wiens Einkaufsstraßen und Einkaufszentren dominieren, finden sich dort wieder: Zara, H & M, Peek und Cloppenburg und wie sie alle heißen, bieten ein sehr vertrautes Bild.

Sogar der früher in Italien höchst verfemte McDonald's hat sich inzwischen breitgemacht. Wie in Wien sind natürlich auch in Rom, Madrid und anderswo in Europa die teuren und exklusiven Marken der Modewelt an den teuren und exklusiven Standorten vertreten. Und so erkennt man etwa den Wiener Kohlmarkt an der Spanischen Treppe in Rom wieder.

Immer seltener findet man hingegen kleine Geschäfte, womöglich Familienbetriebe, die ein individuelles, originelles und im Land hergestelltes und für das Land authentisches Warenangebot führen. Sie verlieren im Preiskampf gegen internationale Ketten, die viel billiger in Dritte-Welt-Ländern produzieren und sich die teuren Mieten in den Einkaufsstraßen und Einkaufszentren leisten können. Das ist schade. Den Einkaufstrip in Europas Hauptstädte kann man sich also ersparen.

Besonders dramatisch ist die Entwicklung auch in Österreich selbst. Es gibt keine Landeshauptstadt, keine Bezirksstadt, ja bald keine Gemeinde mehr, in der sich nicht dieselben Billig-Ketten breitmachen. Das begann bei den Supermärkten und setzte sich in allen Branchen fort. Alles gibt es fast nur noch in denselben Ketten, die das Land überwuchern, zu finden: Lebensmittel, Tierfutter, Schuhe, Kleidung, Möbel, Blumen, Baumaterialien, Spielzeug, Kosmetika.

Doch die prall gefüllten Regale der Geschäfte täuschen. Es gibt nämlich überall dasselbe Angebot. Sind Sie etwa auf der Suche nach einem Kinderplanschbecken, so werden Sie im Baumarkt, beim Fahrzeugteilehändler, im Supermarkt und im Spielzeuggeschäft überall das gleiche Produkt finden, und nur dieses eine. Wollen Sie eine andere Größe, anderes Design, andere Qualität oder gar nur eine andere Farbe – Pech gehabt. Ähnlich ist es etwa bei Schuhen, Spiel- und Schreibwaren – überall das idente und sehr eingeschränkte Angebot. Es ist ein Einheitsbrei an einigen wenigen Produkten von noch weniger Marken entstanden, die alles dominieren. Weniger nachgefragte Produkte fallen rasch aus dem Sortiment.

Ungeachtet dessen wuchern inzwischen an jedem Ortsrand in Österreich Einkaufszentren mit den Filialen einiger weniger Ketten. Die kleinen ursprünglichen Geschäfte im Ortszentrum haben längst im brutalen Preiskampf aufgegeben und stehen leer. So wird alle paar Kilometer dasselbe geboten und damit unnötig die Landschaft verschandelt. Die Umwelt leidet unter der rasant steigenden Bodenversiegelung durch die riesigen Parkplätze, die nie ausgelastet sind. Die Vielzahl an Geschäften – Österreich hat immerhin europaweit die höchste Verkaufsfläche pro Einwohner, und es wird weiter gebaut – ist eine nur scheinbare Vielfalt.

Wer heute ein bestimmtes Produkt sucht, das nicht dem üblichen Angebot entspricht, wird nur noch im Internet fündig. Diese virtuelle Verkaufsfläche wächst rasant und müsste eigentlich der baulich realisierten Geschäftsfläche hinzugerechnet werden. Auf diesem virtuellen Marktplatz herrscht noch halbwegs Chancengleichheit zwischen dem Einzelhändler und dem Großhandel, zwischen internationalen Ketten und kleinen Anbietern. Es steigt die Sehnsucht nach dem Ausgefallenen, das es nicht überall gibt. Vielleicht realisieren dies auch bald die Konzerne und setzen statt auf eine Vielzahl an Filialen auf eine Vielfalt des Angebots, das nicht in jedem Land ident ist. Das würde auch der Landschaft guttun.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.
www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2015)

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