Asyl: Ohne eigene Werte kann Integration nicht gelingen

Die Asylpolitik schwankt zwischen Restriktion, Hilflosigkeit und Selbstüberschätzung. Die Flüchtlinge treffen in Europa auf ein Wertevakuum.

Angesichts der Flüchtlingsmassen, die über Europa schwappen, überkommen einen ambivalente Gefühle: Einerseits hegt man Mitleid mit den vor Krieg und Terror Fliehenden, die Familie und Besitz zurücklassen mussten. Andererseits beschleicht einen die Sorge, wie das alles weitergehen wird.

Verstärkt wird diese Sorge durch das Versagen der Politik – ja, der gesamten EU, die zu einem völligen Chaos geführt hat. Europas Asylpolitik ist hin- und hergerissen zwischen Hilflosigkeit angesichts des sich lange anbahnenden Flüchtlingsstroms und der Selbstüberschätzung, allen Leidenden aus Krisenherden eine neue Heimstatt anbieten zu können.

Für die Bürger stellen sich viele Fragen, die von der Politik nicht beantwortet werden können oder die man mit Rücksicht auf politische Korrektheit nicht beantworten will: Geht es um ein Asyl auf Zeit, oder will man die Flüchtlinge auf Dauer im Land beheimaten? Wie sollen diese Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden?

Hier geht es nicht nur um sprachliche Probleme, sondern auch um Bildung und Qualifikation. Caritas-Chef Michael Landau meinte kürzlich, man brauche ohnehin hoch qualifizierte Leute. Das stimmt, doch die Realität sieht anders aus: Mehr als zwei Drittel der Flüchtlinge aus Syrien haben nur eine Pflichtschule absolviert, bei Afghanen sind es 90 Prozent. Zusätzlich sind die Menschen oft schwer traumatisiert und nicht ohne Weiteres einsetzbar.

Viel zu sehr schaut man nur auf die Organisation, Ökonomie, die Nützlichkeit und die Kosten. Es geht aber um viel mehr: Wie soll soziale Integration gestaltet werden? Dass diese nicht von selbst funktioniert, noch dazu bei Menschen aus einem anderen Kulturkreis, haben in der Vergangenheit etwa Zuwanderer aus der Türkei oder Bosnien bewiesen. Nach welchen Kriterien soll Integration stattfinden, wenn die Asylsuchenden auf Dauer bleiben wollen? An welchen Werten und Normen sollen sie sich orientieren? Welche Werte bilden überhaupt (noch) die Fundamente unserer Gesellschaft?

Mit diesen Fragen erwischt die aktuelle Flüchtlingswelle Europa auf dem falschen Fuß. Wir können keine klaren Antworten geben, denn wir befinden uns in einer tiefen Wertekrise. Auf eine europäische Gesellschaft, die die Religion abgeschafft und an ihre Stelle einen Werte-Liberalismus gesetzt hat, treffen Menschen aus einer islamischen Kultur, in der die Religion den Alltag und die Gemeinschaft bis ins Detail regelt. Ihre Werte stehen oft im Gegensatz zu europäischen Gepflogenheiten, als Beispiel sei die Stellung der Frau erwähnt. Wie wird man in Zukunft damit umgehen? Ein Kompromiss ist in diesen Fragen nicht möglich.

Die Sorge der Bürger wurde schon bisher nicht wahrgenommen, ja, sie durften sie nicht einmal äußern, ohne sofort ins fremdenfeindliche Eck gestellt zu werden. Anstatt Probleme anzugehen hat man sie schlicht geleugnet und damit verschlimmert. So erhielten extreme Positionen und Parteien Zulauf. Und so entstanden Parallelgesellschaften, Ghettos und zunehmende Ressentiments von beiden Seiten. Man lebte sich auseinander, statt zusammenzuwachsen.

Nicht einmal die Zuwanderung konnte man in Europa zuletzt regeln – wie soll man erst nicht abschätzbare und vorhersehbare Ströme an Kriegsflüchtlingen in die Gesellschaft eingliedern? Man schafft es ja nicht einmal, sie unterzubringen und zu verpflegen.

Die aktuelle Situation bietet bei allen Herausforderungen auch eine Chance, ja eine Notwendigkeit: eine Besinnung auf die zentralen Werte, die Europa ausmachen, abseits von Geld und Markt. Europa ist mehr als Reichtum und Wohlstand, Europa ist Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, das christliche Erbe, die Gleichstellung der Frau, Friede und Sicherheit. Ein Europa, das sich nur auf die Ökonomie konzentriert und ansonsten alles einem Wertevakuum im Sinne einer Beliebigkeit überlässt, wird auseinanderbrechen – auch ohne Flüchtlingsströme.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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