Kaiser Karls Mieterschutz gilt im 21. Jahrhundert immer noch

Kriegswitwen, Hyperinflation und allgemeine Not waren 1917 die wichtigsten Gründe für die Einführung des Mieterschutzes. Er ist fast unverändert intakt.

Nun hat es auch der Justizminister eingesehen: Der überbordende Mieterschutz ist völlig überholt. Das aktuelle Mietrecht im Altbau geht im Grundsatz auf die Zeit des Ersten Weltkrieges zurück. Es herrschte eine galoppierende Inflation, die Preise verdoppelten sich jedes Jahr. Lebensmittel wurden knapp, Brotteig wurde mit Kartoffeln, Bohnen und sogar Wurzeln gestreckt, man aß Brennnesselsuppe und ging in Holzschuhen, weil Leder knapp war.

Die Männer leisteten Kriegsdienst, viele Frauen wurden zu Witwen und mussten ihre Kinder allein durchbringen. Fluchtbewegungen nach Wien setzten ein, es herrschte allgemeine Wohnungsnot. Vor diesem dramatischen Hintergrund wurden 1917 die Mieten eingefroren und deren Höhe von der Behörde festgesetzt.

Diese Maßnahme war im Sinne der Kriegswirtschaft getroffen worden und zeitlich befristet gedacht. Nach dem Krieg wurde sie von der Sozialdemokratie als sozialpolitische Errungenschaft betrachtet und 1922 als Dauerlösung eingeführt.

Die Sozialdemokraten forderten eine komplette Enteignung der Hausbesitzer, waren damit aber bei den anderen Parteien nicht durchgekommen. Jedoch wurde das Kündigungsrecht für Hauseigentümer de facto abgeschafft, die Mieten wurden auf ein Hundertstel des Vorkriegswertes in Gold eingefroren. In jenem Jahr litt Österreich unter einer Hyperinflation, die Preise stiegen pro Monat (!) um 50 Prozent. Österreich war am Rande des Staatsbankrotts.

Somit waren die Maßnahmen im Bereich der Mieten notwendig, um Massenelend zu verhindern. Ein interessantes Detail: Unter der Inflation litten weniger Arbeiter, deren Löhne rasch angepasst wurden, sondern eher Angestellte und Beamte. Am meisten verlor das Bürgertum durch die Inflation, die Rentiers, Sparer und Geldvermögensbesitzer. Diesen kam der Mieterschutz am meisten zugute: Sie konnten ihre Wohnungen behalten und sich ein Zubrot durch Untervermietung verdienen. Der Mieterschutz bildete dennoch fortan einen zentralen Programmpunkt der Sozialdemokratie. Im „Linzer Programm“ von 1926 hieß es: „Die Sozialdemokratie verteidigt den Mieterschutz und fordert seinen Ausbau.“

Der mittlerweile bald 100 Jahre alte Mieterschutz ist immer noch zentraler Bestandteil der Politik der SPÖ. Allerdings hat sich seit 1917 einiges geändert: Es gibt keinen Krieg, in den Soldaten einrücken müssten, keine Kriegswirtschaft, keinen Hunger, kein Massenelend, keine galoppierende Inflation. Wir leben seit 70 Jahren in Frieden, in einem Sozialstaat. Die Figur des Wucherers in Gestalt des Hausherrn gibt es so nicht mehr, Vermieter müssen hohe Summen in die Sanierung der in die Jahre gekommenen Gründerzeithäuser investieren, um sie überhaupt vermieten zu können. Dass sie das mit eingefrorenen Mieten nicht können, ist klar.

Heute gibt es nicht das Problem der Inflation, sondern der Deflation, dennoch hat die Bundesregierung für heuer die Indexanpassung für Mieten ausgesetzt, die diesmal ohnehin nur 2,6 Prozent ausgemacht hätte. Dafür haben viele Gemeinden, allen voran Wien, in den vergangenen Jahren die Betriebskosten kräftig erhöht, damit die Mieten in die Höhe getrieben und so einen Teil ihrer Schulden in anderen Bereichen finanziert.

Zudem verlangt die SPÖ ein Verbot von Befristungen, was einer Enteignung – siehe 1920er-Jahre – gleichkommt. Das Ergebnis dieser fragwürdigen Politik: Es wird weniger vermietet, Gründerzeithäuser, die das Stadtbild wesentlich prägen, werden serienweise abgerissen und durch gesichtslose Neubauten ersetzt. Die Mietpreise in gleicher Lage und Ausstattung sind extrem unterschiedlich, der Markt ist verzerrt. Es wird wenig in Altbauten investiert, weil die Vermietung ein Verlustgeschäft ist.

Eingefrorene und behördlich festgelegte Mieten, die teilweise sogar unter jenen im Sozialbau liegen, sind fast hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges nicht mehr argumentierbar.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2016)

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