Wird der Jugend Europas von den Älteren ihre Zukunft gestohlen?

Ob in Großbritannien, Spanien oder Italien - überall fühlt sich die Jugend als Opfer des Egoismus der Älteren. Doch die Schuldfrage ist nicht so leicht zu klären.

Das Abstimmungsergebnis des Brexit, des Referendums über Austritt oder Verbleib in der EU, hat es wieder einmal deutlich gemacht: Es geht ein tiefer Riss zwischen Jung und Alt, zwischen den Interessen der unter 30-Jährigen und jenen der über 50-Jährigen. Während zwei Drittel der Jüngeren ihre Zukunft in einem vereinten Europa sahen, stimmten die Älteren mehrheitlich für einen Austritt, je älter, umso eindeutiger. Interessant ist, dass das Alter für das Abstimmungsverhalten wesentlich entscheidender war als etwa der soziale Status oder andere Faktoren.

Nun wirft die britische Jugend den Älteren vor, ihnen ihre Zukunft gestohlen zu haben. Die Jungen seien es, die gegen ihren Willen das ausbaden müssten, was die Alten bestimmt hätten. Junge Briten protestieren seither lautstark, haben Unterschriftenaktionen gestartet, in denen sie eine Wiederholung des Referendums fordern, und laden ihren Frust in den sozialen Netzwerken ab.

Nun sind all diese Vorwürfe sicher nicht ganz von der Hand zu weisen. Tatsache ist jedoch, dass es die Jungen in der Hand gehabt hätten, das Referendum in ihrem Sinn zu entscheiden. Sie hätten nur zur Abstimmung gehen müssen. Im Gegensatz zur jetzigen Hyperaktivität waren sie nämlich am Abstimmungstag überwiegend passiv: Nur ein Drittel der Jüngeren beteiligten sich an der Abstimmung, während von den Älteren mehr als 80 Prozent teilnahmen. Es ist für die Jugend eine bittere Lehre, dass Demokratie aktive Teilhabe bedeutet – und wer nicht mittut, über den bestimmen die anderen.

Auch in anderen Ländern Europas tut sich eine Kluft zwischen Jüngeren und Älteren auf, fühlen sich Junge stark benachteiligt, was sich auch in politischen Verwerfungen widerspiegelt. So ist etwa in Spanien jeder zweite junge Bürger ohne Job und ohne Perspektive. Ein Teil wandert aus, ein anderer wendet sich Protestbewegungen zu. Es ist kein Zufall, dass der Anführer von Podemos ein junger Uni-Professor ist, der die Frustrierten anspricht. Ähnlich ist es in Italien, wo die Jungen kaum feste Anstellungen erhalten, während die Älteren auf quasi-pragmatisierten Jobs sitzen und dann möglichst früh in Rente gehen. Dort mündete dies in die Fünf-Sterne-Bewegung mit vielen jungen Politikern, von denen es zwei Frauen jüngst zu Bürgermeisterinnen von Rom und Turin gebracht haben. Premier Renzi bemüht sich zwar, einige der als ungerecht empfundenen Privilegien der Älteren zu beseitigen, stößt aber auf heftige Gegenwehr.

So ist es auch in Frankreich, wo ein Drittel der Jugend ohne Job ist und die anderen nur kurzfristige Arbeitsverträge bekommen. Die Arbeitsmarktreform, also die Abschaffung der Unkündbarkeit, die Jungen mehr Chancen eröffnen würde, stößt auf erbitterte Gegenwehr der Gewerkschaften und ufert in Dauerstreiks aus. Besonders betroffen sind junge Menschen aus den einstigen Kolonien, vor allem Nordafrikaner. Immer wieder machen sie ihrer Verzweiflung Luft und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Das Beispiel Frankreich zeigt, wie gefährlich gerade die Jugendarbeitslosigkeit ist: Sie ist eine tickende Zeitbombe!

Man kann einem jungen Menschen nicht sagen, dass er keine Zukunft hat, dass ihn niemand braucht. Österreich steht vergleichsweise noch sehr gut da, doch auch hierzulande müssen wir achtsam sein und den Jungen Chancen bieten. Die Generation Praktikum ist kein taugliches Modell, sondern es muss möglich sein, sich als junger Mensch eine Existenz aufzubauen. Das ist auch im Interesse der Älteren, denn die Pensionsfrage wird noch genügend weiteren Zündstoff bringen.

Es ist ein schwerer Fehler, sich von Politik einfach nur angewidert abzuwenden. Wollen die Jungen die Entscheidungen über ihre Zukunft nicht anderen überlassen, sollten sie sich in den politischen Diskurs einbringen und politisch aktiv mitwirken. Zu Wahlen und Abstimmungen zu gehen, ist da die Basis.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2016)

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