"Die Straße gehört uns!": Und die Exekutive sieht dabei nur zu?

Wenn wir den Missbrauch demokratischer Grundrechte dulden, werden wir bald in der Anarchie landen und vom Mob beherrscht werden. Fragen zur Türken-Demo.

Vergangenes Jahr brauchte es noch Zehntausende Menschen, die an Österreichs Grenzen drängten, damit die Staatsgewalt erschrocken zurückwich und den Rechtsstaat aussetzte. Nun genügen schon einige Tausend, um die Straße für sich zu erobern und die Gesetze grob zu missachten, ohne dass sich die Exekutive ihnen entgegenstellt. Die Pro-Erdoğan-Demonstration vor etwas mehr als einer Woche zeigte in erschreckender Weise die Ohnmacht der Polizei und den mangelnden Willen, den Rechtsstaat durchzusetzen, wenn Politiker um ihr Image bangen.

Schon bei der Flüchtlingskrise befiel viele Bürger eine große Sorge, dass durch das Wegfallen der Grenzkontrollen auch Extremisten oder gar Terroristen nach Europa einsickern könnten. Flugs wurden die Warner ins fremdenfeindliche Eck gestellt. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Sorge nur allzu berechtigt und das Aussetzen des Rechtsstaates ein schwerer Fehler war.

Doch scheint die Politik aus diesem Fehler nicht gelernt zu haben. Was ist davon zu halten, wenn ein Mob, bestehend aus Linksradikalen und Erdoğan-Fans, ungehindert stundenlang eine Spur des Hasses durch Wien ziehen kann? Wie kann es sein, dass diese unangemeldete Demonstration nicht sofort aufgelöst wurde? Die Polizei stand nur tatenlos herum. Folgerichtig skandierten die Randalierer ihren Schlachtruf: „Die Straße gehört uns!“ Hier wurde ein fatales Signal gesendet – nämlich, dass man in Österreich ungehindert das Gesetz missachten kann. Wenn der Verfassungsschutz im Nachhinein prüft, ob irgendein Transparent strafwürdige Inhalte hatte oder eine Strafe von 780 Euro wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verhängt wird, ist das ein Witz.

Die Ausrede der Initiatoren, einer linksradikalen Gruppierung, die Demonstration sei wegen türkischer „Faschisten“ aus dem Ruder gelaufen, ist bemerkenswert. Müssen Linke nicht ebenso den Rechtsstaat und die Gesetze achten? Wozu gibt es die Vorschrift, eine Demonstration anmelden zu müssen? Es handelt sich übrigens um eine bekannt gewalttätige Gruppe, die schon früher an Ausschreitungen beteiligt war. Ein Grund mehr, eine solche Aktion sofort zu unterbinden. Notfalls mit Gewalt und Wasserwerfern. Offenbar war den Verantwortlichen ihr Image in gewissen Kreisen wichtiger als der Rechtsstaat. Sie haben zugelassen, dass Erdoğans Arm nun bis Österreich reicht und er auch in unserem Land die Grundsätze des demokratischen Rechtsstaates missachten kann.

Die Gründung einer Türken-Partei ist ein weiteres Indiz dafür, dass es eine Tendenz zur Desintegration gibt. Bisher waren türkischstämmige Abgeordnete in fast allen etablierten Parteien vertreten, je nach ihrer persönlichen Weltanschauung. Nun soll es ein Art Erdoğan-Partei auch in Österreich geben, womit der politische Islam Teil unseres politischen Spektrums würde. Man kann einwenden, es werde nur eine kleine Partei sein, ohne Einfluss und Gewicht. Aber wenn schon 4000 genügen, um Sicherheit und Frieden im Land in Frage zu stellen, wenn nur entschlossen und rücksichtslos genug vorgegangen wird, dann droht hier eine weitere ernsthafte Gefahr.

Wer schützt uns noch? Wer schützt die Kurden, wer die jüdischen Mitbürger, wenn wir den Mob gewähren lassen? Den friedlichen, gesetzestreuen türkischstämmigen Mitbürgern hat man damit ebenfalls einen Bärendienst erwiesen. Es ist auch kein gutes Vorbild für die neu angekommenen Flüchtlinge, wenn Menschen, die seit Jahrzehnten in Österreich leben, sich als unkontrollierbarer, gewalttätiger Mob – für einen ausländischen Staatschef! – gebärden und dabei unbehelligt bleiben.

Wollen wir so das Achten demokratischer Grundwerte vermitteln? Die Stärke eines demokratischen Staatswesens zeigt sich auch in der Fähigkeit, seine Prinzipien zu verteidigen und für die Befolgung seiner Gesetze zu sorgen – und zwar bei allen Bewohnern in gleichem Maße!

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2016)

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