Straftatbestand Hetze und Hass – aber mit Maß und Ziel

Gewaltaufrufe, Beschimpfungen und Drohungen via Internet sind kein Kavaliersdelikt. Das Strafrecht sollte aber nicht als Mittel der Zensur benützt werden.

Die Vokabeln waren jahrzehntelang aus dem öffentlichen Sprachgebrauch so gut wie verschwunden: „Hass“ und „Hetze“. Bloß Neonazis ließen sich mitunter „HASS“ in Runenschrift auf die Finger tätowieren. Doch plötzlich tauchen diese Begriffe regelmäßig wieder auf, meist im Netz, oft verbunden mit dem Begriff „IS“ oder „Ausländer“. Dieses Phänomen hat die Gesetzgeber verschiedener europäischer Länder veranlasst, Gesetze für strafrechtliche Sanktionierungen zu beschließen.

Es ist zu widerwärtig, wiederzugeben, was so alles an Gift in den sozialen Netzwerken abgesondert wird. Von Extremisten werden diese bewusst für Propaganda missbraucht, aber auch „Normalbürger“ finden sich darunter. Allzu leicht wird von den Benützern nämlich vergessen, dass Internetforen öffentliche Orte sind.

Es macht einen großen Unterschied, ob man spontan im Freundeskreis seinem Ärger oder Zorn Luft macht, oder dies mittels Posting via Facebook oder auf der Website einer Zeitung tut. Generell sollte man sich hasserfüllte Bemerkungen verkneifen, um andere nicht zu verletzen, erst recht, wenn dies öffentlich geschieht.

Man muss, ja soll etwa mit Politikern, Journalisten, Andersdenkenden oder -gläubigen nicht immer einer Meinung sein, man soll – sachliche – Kritik äußern, und das ungestraft. Das ist das Wesen der Demokratie. Hass, Gewaltaufrufe und Drohungen fallen allerdings in eine andere Kategorie, und es ist legitim, dass diese nicht als Kavaliersdelikt behandelt werden. In Österreich wird mittlerweile rigoros gegen Hasspostings vorgegangen. Sowohl die Anzeigen als auch die Verurteilungen steigen massiv an: Im Vorjahr gab es bereits 282 Anzeigen und 44 Verurteilungen wegen Verhetzung.

Allerdings besteht die Gefahr, dass man mit den in vielen Ländern eingeführten Verhetzungsparagrafen über das Ziel hinausschießt. Sie dürfen nicht als Instrument benützt werden, um Andersdenkende und Kritiker mundtot zu machen. So etwa wurde von der spanischen Regierung kürzlich ein „Sonderstaatsanwalt für Hassverbrechen“ installiert. Einer der ersten, der angeklagt werden sollte, war ein katholischer Bischof, der sich gegen den „Genderismus“ aussprach. Erst aufgrund einer weltweit unterstützten Petition wurde die Anklage fallen gelassen.

Ähnlich verhält es sich mit der von der EU im Mai mit Internetplattformen abgeschlossenen Vereinbarung, in der diese sich verpflichten, Hasspostings sofort zu entfernen. Das ist an sich ein gutes Instrument, um Aufrufe zu Gewalt und Hass zu unterbinden und zielt derzeit vor allem gegen Terrorismus und IS. Seitens der EU fallen darunter aber auch sogenannte Hassreden, die sehr schwammig definiert sind und dazu führen können, ungewünschte Kritik generell zu unterbinden und zu zensurieren – ohne juristische Grundlage. Einige Lobbys arbeiten bereits daran.

Im öffentlichen Diskurs ist man auch hierzulande schnell bei der Hand mit dem Vorwurf der Hetze, um öffentliche Äußerungen Andersdenkender zu unterbinden. Sachliche und differenzierte Kritik ist in einer Demokratie jedoch notwendig und darf nicht unterdrückt werden, sonst wird der Verhetzungsparagraf ein Mittel der Zensur und damit fragwürdig.

Außerdem relativiert und verharmlost man echte Hetze im Sinne von Aufruf zu Gewalt und Hass, wenn man diesen als Kampfbegriff inflationär benützt. Hier kann man durchaus eine Analogie zur „Nazi-Keule“ herstellen, bei der ebenfalls die Gefahr besteht, dass damit die Verbrechen des Nationalsozialismus letztlich verharmlost werden, wenn man sie aus jedem unpassenden Anlass schwingt.

In überhitzten Zeiten von Terroranschlägen, Umsturzversuchen, Kriegen und Krisen tut es not, einen möglichst kühlen Kopf im öffentlichen Diskurs zu wahren und den Dingen das rechte Maß zu belassen. Das gilt auch für den Sprachgebrauch. Überreaktionen, Hysterie und Übertreibung sind keine gute Antwort.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

www.walterskirchen.cc

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.