Mut und Tatkraft statt Angststarre und hysterischer Abwehrreflexe

Angst vor Stimmenverlusten und Lähmung der einstigen Großparteien haben die FPÖ groß gemacht, nicht aber deren tolles Programm oder Personal.

Seit Jahrzehnten dominiert ein Leitprinzip die österreichische Innenpolitik. Dieses lautet: Was können wir tun, um der FPÖ nicht noch mehr Zulauf zu verschaffen? Leider ist die Schlussfolgerung aus dieser Fragestellung irrig. Sie führt nicht dazu, dass die anderen Parteien – ob in der Regierung oder in Opposition – selbst möglichst gute und klar definierte Politik betreiben, sondern mündet meist in eine Angststarre oder in Aggression.

Man hat sich einen Wettbewerb geliefert, was man alles nicht tut, weil dies womöglich der FPÖ nützen könnte. „Das würde nur der FPÖ helfen“, hörte man immer wieder von Politikern anderer Parteien. Ein Beispiel: Seit Jahrzehnten unterlässt es die SPÖ, eine aktive Integrationspolitik zu betreiben. Sie hat nichts unternommen, weil man sonst ja Probleme oder Missstände hätte benennen und eingestehen müssen, dass es eben nicht von allein und überall klappt.

Denn dies hätte der „ausländerfeindlichen“ FPÖ genützt, so lautete die Schlussfolgerung. Also schaute man weg, mit den bekannten Folgen. Probleme wurden so lang verheimlicht oder negiert, bis den Verantwortlichen alles um die Ohren flog.

Ähnlich verhält es sich mit dem Reformstau – etwa bei Verwaltung, Kammern, Genossenschaften und anderen einschlägigen Institutionen. Man macht nichts, weil man einerseits nicht die eigene Klientel vergraulen will und andererseits, weil man sonst Missstände eingestehen müsste, Stichwort Bonzen. Das wieder könnte der FPÖ nützen, die seit Jahrzehnten diese Themen trommelt.

Jüngstes Beispiel ist die Flüchtlingsfrage: Hier ist die Regierung in eine besonders fatale Angststarre gefallen. Man war einerseits überfordert, wagte es andererseits aber nicht, irgendetwas zu unternehmen, was der FPÖ hätte Munition liefern können. So verzichtete man auf eine Registrierung der Flüchtlinge und behauptete, es handle sich vor allem um Familien und Ärzte, obwohl man mit freiem Auge sehen konnte, dass das nicht stimmte. Man hätte aber nur die Vernunft walten lassen müssen, wie das nur wenige in der Regierung schafften, sich aber nicht durchsetzten und medial heftig attackiert wurden. Das alles hat dazu geführt, dass das Asylrecht in vielen Fällen missbraucht wurde und anderen, die ein Anrecht auf Asyl hätten, dieses verwehrt werden soll – Stichwort Obergrenze.

Wieso, fragt man sich, setzen Parteien in Regierungsverantwortung nicht einfach ihre Schwerpunkte und Handlungen so, wie sie es aufgrund der Situation und ihrer Prinzipien für vernünftig und richtig halten? Ganz gleichgültig, ob diese der FPÖ gerade zupass kommen oder nicht. Wieso handeln sie überhaupt in entscheidenden Momenten und Fragen gar nicht, zögerlich oder zu spät? Der Reformstau in diesem Land ist ja mittlerweile nicht mehr zu überblicken. Wieso setzen sie nicht mutig eigene Akzente, damit man merkt, wofür sie stehen?

Es reicht für eine Partei nicht, egal ob in Regierung oder Opposition, zu betonen, gegen wen man sich abgrenzt und wogegen man ist. Das ist noch kein Profil. Es funktioniert genauso wenig wie das berühmte Motto: „Denke nicht an einen roten Elefanten.“ Prompt hat man diesen vor Augen.

Mit diesem Prinzip hat man der FPÖ erst recht die Wähler zugetrieben, obwohl weder ihr Personal noch ihr Programm besonders überragend ist. Ähnliches ist jetzt übrigens in Deutschland im Umgang mit der AfD zu beobachten. Weder die hysterische Abwehr und Dämonisierung der FPÖ noch der Schlingerkurs der ÖVP hat bisher eine Trendwende herbeigeführt. Im Gegenteil: Die SPÖ wertete den Gegner damit unnötig auf, und die ÖVP vergraulte viele Kernschichten, etwa durch die Aufgabe ihrer früheren Familien- und Wirtschaftspolitik.

Statt ängstlichen Abgrenzens brauchte es Entschlossenheit, Vernunft, klare Ziele und Mut zum Gestalten. Wer auf seinem Weg nicht das Ziel, sondern stets den Nebenmann im Auge hat, wird stolpern.

E-Mails an:debatte@diepresse.comZur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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