Investitionen in die Ganztagsschule bringen mehr Schaden als Nutzen

Clemens Fabry
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Ob durch die 750 Millionen Euro für die Ganztagsschule die Bildungs- und Lebensqualität für die Kinder besser wird, darf bezweifelt werden.

Mehr Geld für Bildung zur Verfügung zu haben, ist ein Erfolg für Bildungsministerin Sonja Hammerschmidt. Ob es in den Ausbau der (freiwilligen) Ganztagsschule richtig investiert ist, ist jedoch höchst fraglich.

Führt die Ganztagsschule wirklich zu besseren Leistungen in der Volksschule? Diese Frage kann niemand in Österreich beantworten, da selbst Experten das Fehlen von wissenschaftlichen Studien kritisieren. Man beruft sich auf Studien aus Deutschland, die keine besseren Leistungen, dafür ein besseres Sozialverhalten feststellten – und das nur unter optimalen Bedingungen. Es ist daher nicht belegt, dass die Kinder mehr lernen, wenn sie den ganzen Tag in der Schule verbringen.

Wer will also die Ganztagsschule, und wer profitiert davon? Begeistert reagierten etwa Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer – mit der Begründung, nun würde die Bildung der Kinder und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert. Beiden geht es darum, möglichst viele Eltern im Vollerwerb zu sehen und die Teilzeitarbeit zu reduzieren.

Die Lehrer hingegen sind skeptisch bis ablehnend. Der Vertreter der Pflichtschullehrer meinte, ihm täten die Kinder leid, die den ganzen Tag in der Schule verbringen müssten. Und die Kinder? Kinder aus bildungsfernen und Migrantenfamilien würden vielleicht profitieren. Bei allen anderen ist der Mehrwert nicht zu erkennen: Ruhe und Rückzug sind nicht möglich, die ständige soziale Interaktion überfordert viele Kinder.

Ebenso unmöglich werden Freizeitaktivitäten wie Musikschule, Sportvereine, Pfadfinder, Freunde besuchen. Individuelle Interessen und Begabungen kann eine Ganztagsschule in diesem Ausmaß nicht bieten und fördern. Aber vielleicht ist es ja eines der politischen Ziele, die Individualität und den Einfluss des Elternhauses zu reduzieren?

Für berufstätige Eltern ist eine Ganztagsschule sicher ein Vorteil, wenn beide Vollzeit arbeiten. Sie ist für sie billiger und unkomplizierter. Allerdings gibt es heute ein vielfältiges Angebot an Horten mit ausgebildetem Personal. Und viele Eltern arbeiten freiwillig Teilzeit, weil sie Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Eine sinnvolle Investition wäre daher der Ausbau der Horte und eine Reduktion der Kosten durch mehr Förderungen, denn billig sind sie nicht.

Nun zur Hauptzielgruppe, den Migranten: Es ist zu bezweifeln, dass Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen diese verbessern, wenn sie auch am Nachmittag in der Schule untereinander in ihrer nicht-deutschen Muttersprache reden. Es würde nur etwas bringen, wenn auch in den Pausen Deutsch Pflichtsprache wäre. Eltern, denen an Integration nicht gelegen ist, wird man mit der Ganztagsschule kaum erreichen: Sie fürchten, dass die Kinder ihrem Einfluss entzogen werden, auch müssten sie für das Mittagessen bezahlen.

Da man diese Zielgruppe also nicht erreichen wird, wird man bald aus einem freiwilligen ein verpflichtendes Angebot machen. Für einen qualitativ hochwertigen Ausbau fehlt allerdings das Geld. Daher sollte man sich also besser auf die Brennpunktschulen konzentrieren.

Apropos Qualität: 750 Millionen klingt nach viel Geld, sie werden aber in Tranchen ausbezahlt. 2017 sollen 20 Millionen ausgeschüttet werden – ein lächerlicher Betrag, wenn man bedenkt, was der Umbau einer einzigen Schule kostet, will man sie tauglich für den ganztägigen Betrieb machen.

Somit zieht der Staat ohne Prüfung des Mehrwerts Kompetenzen an sich, die er nicht erfüllen kann. Eltern, Lehrer und Kinder werden nicht nach ihren wahren Bedürfnissen befragt, sondern zwangsbeglückt. Den Wunsch nach mehr und besseren Teilzeitangeboten für Eltern mit der Förderung der Ganztagsschule zu beantworten, ist eine glatte Themenverfehlung!

Das sollten sich vor allem die ÖVP und die Industriellenvereinigung hinter die Ohren schreiben.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Dr. Gudula
Walterskirchen ist Historikerin und
Publizistin. Sie war bis 2005 Redakteurin der „Presse“, ist seither freie Journalistin und Autorin zahlreicher Bücher mit historischem Schwerpunkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2016)

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