Wahl-Stresstest schwächt Merkel Die Kanzlerin sucht einen Ausweg

Deutsche Querschläger mit Folgen. Atomwende, zu Guttenbergs Abgang, der Libyen-Sonderweg, der FDP-Verfall und das Stuttgarter Desaster.

Einen politischen Super-GAU hat es nicht gegeben. Von einer Kernschmelze der schwarz-gelben Berliner Koalition kann keine Rede sein. Gleichwohl muss man die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz als Zäsur betrachten. Sie waren ein Plebiszit gegen die Atomenergie. Das trieb die Grünen in Höhen, die sie kaum wieder schaffen werden. Ihre Entzauberung wird unvermeidlich sein.

Merkels Koalition ist im Stresstest der zwei Landtagswahlen durchgefallen. Die Kanzlerin ist sichtlich angeschlagen, die FDP nahezu k.o. Doch in den zweieinhalb Jahren bis zur nächsten Bundestagswahl kann sich manches ändern. Von einer „Endzeitstimmung“ ist Merkel weit entfernt. In Stuttgart wird Grün-Rot regieren, in Mainz Rot-Grün. Hat eine „rot-grüne Renaissance“ begonnen? Nein. Den Sozialdemokraten hat die Schwäche des schwarz-gelben Koalitionslagers nicht nur nichts genützt, sie verloren sogar noch viele Stimmen an die Grünen. Die SPD ist für Merkel keinerlei Gefahr. Die Gefahr lauert in der eigenen Koalition. Es ist der Auszehrungsprozess des Partners FDP.

Irrlichternder Westerwelle

Den FDP-Wählern haben sich zwei Dinge eingeprägt: die programmatische Verengung auf einen Wirtschaftsliberalismus samt Dauerforderung nach Steuersenkungen, zweitens die Eskapaden des irrlichternden Westerwelle.

Nach dem katastrophalen Absturz in der Wählergunst verkündete der FDP-Chef: „Wir haben verstanden.“ Hat er? Am heutigen Montag will die Parteispitze eine „sach- und personalpolitische Neuaufstellung“ in die Wege leiten. Westerwelles Tage sind gezählt. Er wird sich nach dem Bundesparteitag Mitte Mai wohl mit dem Außenministeramt begnügen müssen.

Das allein wäre für eine Wiederbelebung der Liberalen noch zu wenig. Eine Stärkung der FDP ist für Merkel ganz entscheidend. Sonst steht ihr kein anderer kleiner Koalitionspartner zur Verfügung.

Es war Merkel, die im Herbst die Landtagswahl in Baden-Württemberg zur Volksabstimmung über jenes gigantische Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“ deklarierte, das zehntausende wutentbrannte Bürger zu Massenprotesten auf die Straße trieb. Die wochenlangen Bilder von der japanischen Dreifachkatastrophe schweißten schließlich „Wut- und Angstbürger“ zusammen. Für die CDU, die 58Jahre lang Regierungsverantwortung im „Musterländle“ trug, hieß es auf einmal: aus! Vorbei!

Der doppelte Urnengang vor acht Tagen ging in einem emotionalen Ausnahmezustand der Wählerschaft vonstatten (wobei die Angst ja durchaus Gründe hatte). Für Merkel kommt nun alles darauf an, am Ende ihres Dreimonatsmoratoriums einen beschleunigten Ausstieg aus der Atomkraft zu erreichen. Vier Fünftel der Wähler hatten das Moratorium, in dem fürs Erste die acht ältesten AKW abgeschaltet worden waren, für einen Wahlkampftrick gehalten. Wenn es der Kanzlerin nicht gelingt, das Misstrauen zu entkräften und einen neuen Atomkonsens zu schmieden, wird es eng für sie.

Um ihr Image als Chefin einer schwarz-gelben „Nichtstuer“-Koalition zu überwinden, hatte sich Merkel im Sommer 2010 ruckartig entschlossen, in einem „Herbst der Entscheidungen“ die Zügel anzuziehen. Eines der Hauptvorhaben war die Verlängerung der AKW-Laufzeiten – im Konsens mit den begünstigten Energiekonzernen, doch gegen den Protest der Oppositionsparteien.

Ein doppelt schwerer Fehler

Rückblickend war Merkels Kraftakt ein doppelt schwerer Fehler. Warum sollten die Atomkraftwerke vor einem halben Jahr noch „völlig sicher“ sein, nach der Katastrophe von Fukushima aber nicht mehr? Bei Millionen Wählern fand die Kanzlerin mit ihren Argumenten kein Gehör. Zweitens hatte Merkel mit der Laufzeitverlängerung die Verständigungsbrücken zu den Grünen abgebrochen.

Die Folgen sind in Baden-Württemberg zu sehen. Dort, wo lange Zeit Schwarz-Grün in der Luft zu liegen schien, ist diese Koalitionsoption vom Tisch. Die FDP fällt wegen eigener Schwäche aus. Da nützt es nichts, wenn konservative CDU-Politiker verkünden: „Zuerst die Stammkundschaft, dann die Laufkundschaft.“ In der heutigen Gesellschaft kann man mit solchen Sätzen nur prinzipienstolz untergehen.

„Events, my boy, events!“

Das darf nicht als Plädoyer für einen Populismus missverstanden werden. Im Gegenteil. Es ist nicht falsch, Merkel vorzuwerfen, sich zunehmend beliebig durchzuwursteln. „Politik“, hat Ferdinand Lasalle einmal gesagt, „beginnt mit der Wahrnehmung der Wirklichkeit.“ Das ist der eine Pol. Der andere ist die Gesamtheit fester Wert- und Zielvorstellungen. Bei der deutschen Kanzlerin ist die Balance zwischen diesen Polen immer weniger erkennbar.

„Mr. Prime Minister, was waren für Sie die größten Probleme beim Regieren?“ Auf diese Frage eines Jungreporters gab Harold Macmillan die bekannte Antwort: „Events, my boy, events!“ Auch Merkel hatte es in diesem Jahr mit unvorhersehbaren Ereignissen zu tun. Doch jedes Mal glaubte sie, reflexhaft-populistisch vorgehen zu müssen. Neben der Atomwende gibt es drei weitere Beispiele dafür. Erstens: Merkel versuchte, ihren hochpopulären Verteidigungsminister zu Guttenberg trotz der unglaublichen Plagiatsvorwürfe mit dem Argument zu halten, sie habe ja keine wissenschaftliche Hilfskraft, sondern einen tüchtigen Politiker gesucht. Damit verriet sie den konservativen Wertekanon und brachte die „Scientific community“ gegen sich auf.

Im Boot mit Russland und China

Beispiel zwei: Aus Sorge, Deutschland neue militärische Verpflichtungen vor Landtagswahlen aufzubürden, legten sich Merkel und Westerwelle auf eine Stimmenthaltung in der UNO fest. Der Außenminister, der kurz zuvor noch die arabische Freiheitsbewegung lauthals angefeuert hatte, bekam es mit der Angst zu tun, als sich der Weltsicherheitsrat anschickte, militärische Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu billigen.

Auf einmal fand sich Deutschland als einziger EU- und Nato-Staat nicht an der Seite seiner westlichen Verbündeten, sondern an der Seite von Matadoren der Demokratie und Menschenrechte wie Russland oder China. Ein historischer Fehler, für den Merkel noch bezahlen wird.

Eurothema hat Sickerwirkung

Beispiel drei: Zwecks Eurorettung hat Merkel viele frühere Versprechungen gebrochen. In den schwarz-gelben Bundestagsfraktionen steigt der Groll gegen die „Basta“-Politik der Kanzlerin. Während der deutsche Sonderweg in der Libyen-Politik die Bürgermehrheit kaum berührt, wird das Eurothema bei den Wählern eine Sickerwirkung haben. Denn diesmal geht es um reales Geld: eine Belastung der Steuerzahler von fast 23Milliarden.

Was wird Merkel tun? Sie wird auf eine Wiederbelebung der FDP ohne Westerwelle hoffen, auf die Vergesslichkeit der Wähler und im Übrigen weiterhin ihrer Methode des Lavierens von Fall zu Fall vertrauen. Das ist nicht ganz falsch und doch zu wenig. Der CDU steht ein Richtungsstreit ins Haus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2011)

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