Die Job-Krise in den USA gefährdet Obamas Wiederwahl

Wahljahr 2012. Nach dem erstaunlichen Comeback des US-Präsidenten werden Konjunkturschwäche und Schuldenberg zum großen Risiko für ihn.

Barack Obamas Wiederwahl steht auf dem Spiel. Seine Ankündigung eines beschleunigten Abzugs aus Afghanistan zeigt: Für den amerikanischen Präsidenten verläuft die Hauptfront jetzt zu Hause. Er will möglichst gesichtswahrend den längsten Krieg beenden, in den die USA jemals verwickelt waren. Was in Afghanistan nach 2014 passieren wird, ist nachrangig (so wie das 1973 auch in Vietnam der Fall gewesen ist).

Niemand hatte erwartet, dass der erste schwarze Präsident der USA leichthin Lorbeeren ernten könnte. Zwei ererbte Kriege, Einflussverlust in vielen Weltregionen, eine Rezession samt Schuldenkrise ohne Beispiel sowie ein tief gespaltenes Land, dessen rechte Wählerhälfte Obama mit zum Teil sinistrem Hass verfolgte. Von seinen Anhängern als eine Art Messias hochgejubelt, stieß Obama von Anfang an auf überzogene Erwartungen. Die linken Demokraten sind inzwischen tief enttäuscht – umso mehr wittern die Republikaner Morgenluft.

Die Quittung bei den Zwischenwahlen im November: Mehrheitsverlust der Demokraten im Repräsentantenhaus, den Senat nur knapp gehalten. Ein Debakel.

Abgesänge verfrüht angestimmt

Die ersten Abgesänge wurden angestimmt – verfrüht. In wenigen Wochen erholte sich der Präsident. Seit Jahresanfang konnte er sich wieder auf die Zustimmung von gut 50 Prozent der Wähler stützen. Mit der Tötungsaktion gegen den Staatsfeind Nummer eins Bin Laden scharte er die Amerikaner hinter sich. „Justice has been done“, sagte Obama im Einklang mit dem Land.

Dass der Präsident es wagte, die Kommandoaktion auf pakistanischem Boden anzuordnen, war hochriskant für ihn. Ein Fehlschlag hätte ihn erledigt. Genau das war 1979 Jimmy Carter widerfahren, als die Geiselbefreiungsaktion im Iran blamabel scheiterte. So aber bewies Obama in den Augen seiner Landsleute Mut, Entschlossenheit und Führungskraft. Jeder Verdacht, er sei ein „Weichei“, löste sich auf.

Entscheidend für seine Wiederwahl war und ist das nicht. Dass er noch als Favorit erscheint, liegt unter anderem an der Desorientiertheit der republikanischen Partei. Sie verfügt nur über mittelmäßige Bewerber und hat sich von der Tea-Party-Bewegung zu sehr ins rechte Eck bugsieren lassen. Das steigert das Misstrauen der Wechselwähler. Schließlich bedrohen die oppositionellen Sparvorschläge den Kern aller Sozialprogramme. Auch dem von Abstiegsängsten geplagten weißen Mittelstand scheint das zu weit zu gehen.

Mit den glitzernd-vagen Parolen von „Change“ und „Hope“ und „Yes, we can“ hatte Obama einst die „Unabhängigen“ für sich gewonnen. Sie repräsentieren die Mitte, die wahlentscheidend ist. Die christlich-fundamentalistischen Gruppierungen, die Bush zum Amt verholfen hatten, sind nicht mehr das Zünglein an der Waage.

Die neue, radikalere Dynamik geht von den Tea-Party-Vertretern aus – jener rechten Graswurzelbewegung, die gegen höhere Steuern, zu viel Staat und alles, was sie als verkappten „Sozialismus“ ansieht, ankämpft.

Bill Clintons Erfolgstaktik

War der republikanische Wahlsieg im November der Ausdruck eines Rechtsrucks? Genau genommen nicht. Zwei Drittel der Unabhängigen hatten sich angesichts des vermeintlichen Niedergangs Amerikas von ihrem Präsidenten abgewandt. Inzwischen ist gut die Hälfte dieser Wechselwähler wieder zurückgeschwenkt. Das war der Moment, in dem sich Obama an der einstigen Erfolgstaktik Bill Clintons orientierte.

Clinton hatte bei seinen ersten Zwischenwahlen 1994, nach dem Scheitern seiner Gesundheitsreformpläne, gleichfalls eine gewaltige Niederlage akzeptieren (und verstehen) müssen. Zwei Jahre später schaffte er glanzvoll seine Wiederwahl. Clintons Erfolgsgeheimnis lautete: sich pragmatisch in der Mitte zu verankern, statt nach rechts hin abzudriften, zugleich den siegestrunkenen Republikanern jene Fundamentalopposition zu überlassen, der die moderate Mitte wenig abgewinnen kann.

Genauso versucht es jetzt Obama. Noch vor dem Jahreswechsel gelang es ihm, eine Verlängerung der Steuererleichterungen aus der Bush-Ära durch den Kongress zu bringen, ebenso (stark abgeschwächte) Reformen im Gesundheitswesen sowie die Ratifizierung des START-Abrüstungsvertrags. Er demonstrierte solcherart die Fähigkeit, als „Präsident der Mitte“ Kompromisse zwischen beiden Lagern zu erreichen.

Wirtschaft ist die Feuerprobe

Mit seiner so einfühlsamen wie staatsmännischen Reaktion nach den Todessschüssen von Tucson im vergangenen Jänner präsentierte sich der Präsident als Mann, der die Nation zusammenführen kann. Das alles zahlt sich für Obama aus. Die Zahl der Amerikaner, die ihn für einen radikalen Linken halten, sank um mehr als zehn Prozent.

Die eigentliche Feuerprobe ist die Wirtschaft. Doch gerade sie entwickelt sich nicht günstig für Obama. Amerika droht ein neuer Konjunkturabschwung. Die industriellen Job-Maschinen stottern. Die Arbeitslosigkeit liegt immer noch bei neun Prozent. Kein Präsident (von Roosevelt abgesehen) hat seine Wiederwahl geschafft bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als sieben Prozent.

Dazu kommt, dass der traditionelle Fortschrittsglaube der Amerikaner stark erschüttert ist. Nur mehr ein Drittel glaubt, der kommenden Generation werde es einmal besser gehen. Obamas hunderte Milliarden Dollar schwere Stimulus-Pakete haben die Strukturschwächen Amerikas nicht beseitigt, gleichzeitig fehlt weiteres Geld zur Konjunkturbelebung.

Das Land versinkt im Schuldensumpf. Anfang August läuft die bisherige Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar aus. Bisher haben sich Regierung und Opposition noch nicht auf eine Erhöhung einigen können. Ohne Durchbruch droht eine (begrenzte) Zahlungsunfähigkeit der USA. „Griechischer als die Griechen“, heißt es an der Wall Street spöttisch.

„Die größte Bedrohung für die nationale Sicherheit“, so Generalstabschef Mike Mullen, „sind unsere Schulden“ – allein im laufenden Haushaltsjahr plus 1,4 Billionen! In nur acht Jahren haben sich die Staatsschulden verdoppelt. Die Handlungsspielräume der Weltmacht werden kleiner. Für 2012 vermutet der IWF neue Schulden, die erstmals das BIP Amerikas übersteigen werden.

Zögern mit der bitteren Medizin

Zwei Ratingagenturen haben die Perspektiven für die Kreditwürdigkeit der USA bereits als negativ bewertet – Warnschüsse, mehr vorderhand noch nicht. Die ungeheuren Selbstheilungskräfte Amerikas darf niemand unterschätzen. Der Dollar bleibt ein globales Herrschaftsinstrument, und das Vertrauen der Gläubiger in aller Welt haben die USA noch nicht verloren.

Doch es ist 5 vor 12. Zur bitteren Medizin will Obama erst nach den Wahlen greifen. Die Wende müsste aber jetzt erfolgen. Dafür wäre ein Zusammenwirken der großen Kräfte unabdingbar. Sie ist leider nicht in Sicht.

So könnte es sein, dass sich Obama Clintons Erkenntnis „It's the economy, stupid!“ voll zu eigen macht und dennoch – aus Mangel an Fortüne – scheitert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2011)

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