Joschka for President

Der Unterschied könnte nicht größer sein.

Hier die USA: Der zukünftige Präsident wird nach einem Wahlkampf gekürt, der von Leidenschaft geprägt ist. Wer sich für einen Kandidaten engagiert, wird aktiver Teil einer Wahlbewegung. Vor allem das Internet ermöglicht es, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und andere zu überzeugen. Vor allem Obamas Kandidatur hat eines erreicht: Eine Jugend, die als politikverdrossen galt, meldet sich zu Wort. Politik ist wieder „in“.

Und Europa? Wie war es hier geplant, den „Ratspräsidenten“ zu küren? Irgendwo zwischen Paris, Berlin und Brüssel hätten Regierungschefs eine Person, die ihnen politisch gepasst hätte, gekürt. Nach dem Nein der Iren ist es ohnehin hinfällig.

Bezeichnend war der Schwerpunkt der öffentlichen Debatte über diesen neuen Ratspräsidenten in Österreich. Nicht das absurd vordemokratische Verfahren war Thema, sondern die Frage, ob „unser“ Schüssel dabei Chancen hätte.

Deswegen wäre das der wichtigste Schritt einer Demokratisierung der EU: Die Wahl eines Präsidenten: 400 Mio. EU-Bürger wählen zwischen einem konservativen Polen, einer sozialdemokratischen Irin, einem französischen Liberalen und einem grünen Deutschen „ihren“ Präsidenten. Für den Grünen ein Vorschlag: Joschka Fischer, europäischer Visionär und begnadeter Redner. Mehrsprachige Wahlauftritte in allen Ländern, grenzüberschreitende Kampagnen, Außenpolitik wird Innenpolitik.

Und die Verfassung? Ja, das demokratische Europa braucht eine. Aber nicht durch 27 Volksabstimmungen, sondern durch eine europäische. Am selben Tag, gleichzeitig in allen Ländern. Sagt die Mehrheit ja, gilt sie. Wenn nein, bleibt die EU ein Elitenprojekt wie bisher.


chorherr.twoday.net

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2008)

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