Und nach der Wahl?

Der überwiegende Teil der Bevölkerung ist erbost, enttäuscht, zornig.

Eröffnungsbilanz: Eine solche könnte helfen, bevor mit lautem Getöse der Wahlkampf beginnt. Eine Eröffnungsbilanz des politischen Systems, wozu Politiker zählen wie Journalisten, müsste erschrecken: Der überwiegende Teil der Bevölkerung, das belegen Umfragen wie zahlreiche Gespräche, ist erbost, enttäuscht, zornig oder wendet sich schlicht ab.

Muss man nur ein paar Personen an der Spitze austauschen, und dann läuft die Große Koalition schon wieder? Ein fataler Fehlschluss. Die schwere politische Krise, in der Österreich steckt, hat eine Reihe von Ursachen. Die Große Koalition, bei der sich zwei Parteien systematisch blockieren, ist nur ein Element. Ein viel wesentlicheres ist die stupide Form, wie politische Entscheidungen laufen.

Konkretes aktuelles Beispiel, die Gesundheitsreform: Ohne jegliche Öffentlichkeit entwickeln die Sozialpartner einen Gesetzesentwurf. Die Regierung ändert keinen Beistrich und knallt diese „Reform“ dem Parlament auf den Tisch. Statt transparenter Diskussion wird aufs Tempo gedrückt, die Öffentlichkeit ausgeschlossen und damit den Ränkeschmieden von Partikularinteressen, deren Meister Neugebauer heißt, das Feld überlassen. So kann man keine große Reform umsetzen.

Warum nicht so: Eine Regierung definiert drei große Reformfelder, nennen wir sie Gesundheit, Energiewende und Bildung. Transparent werden im Parlament unter Leitung und Verantwortung von Abgeordneten in öffentlichen Ausschüssen Experten gehört, Vorschläge gemacht, Lobbyisten eingebunden und Kompromisse ausgelotet. Man nimmt sich Zeit dafür, mindestens ein halbes Jahr. Der dabei notwendige Streit macht Konflikte sichtbar, entlarvt Einzelinteressen und erhöht den Druck auf den Gesetzgeber (das Parlament) zu einer Lösung zu kommen.

Man unterschätze die Öffentlichkeit nicht. Viel mehr Menschen, als viele glauben, würden sich für so eine transparente Vorgangsweise interessieren. Am Ende entscheiden „freie Abgeordnete“. Ich bin sicher: Wäre diese Vorgangsweise gewählt worden, wir hätten heute eine Gesundheitsreform.

Gibt's dafür eine Garantie? Mit Sicherheit nicht, aber eine große Chance auf eine Weiterentwicklung des Politischen in diesem Land. Wär doch einen Versuch wert, oder?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2008)

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