Schulsystem

Wenn sich am Schulsystem etwas geändert hat, an diesem scheinbar unreformierbaren Ungetüm, das im Wesentlichen immer noch auf Selektion beruht, dann sind das die Lehrer.

Ach, ich singe hier das Lob der Lehrer, und ich singe es, weil ich sie kenne: persönlich (seither weiß ich, dass sich Lehrer vor der Matura genauso fürchten wie die Schüler) – und aus Anschauung. Marlene geht in eine Volksschule, Hannah ins Gymnasium, und wenn sich an diesem Schulsystem, diesem offenbar unreformierbaren Ungetüm, das im Wesentlichen immer noch auf Selektion beruht und das im Jahr 2012 Lehrbücher hervorbringt, in denen Borten an Tischdecken gehäkelt werden müssen, wenn sich also etwas geändert hat, dann sind das die Lehrer.


Moderne Lehrmethoden. Die Lehrer sind engagiert. Sie sind geduldiger als zu meiner Zeit. Und die meisten scheinen Kinder wirklich zu mögen. Sie haben didaktisch aufgerüstet, zuweilen sogar eigene Lehrmethoden entwickelt: Eine Spanischlehrerin etwa setzt darauf, dass auch im modernen Menschen bzw. im modernen Kind noch ein Sammler steckt, und vergibt für Hausaufgaben, Mitarbeit und Stundenwiederholungen Punkte. Sie hat recht behalten: Ihre Schüler sammeln mit Begeisterung. Eine andere Lehrerin lässt im Geschichtsunterricht den sommerlichen Kampf um die Liegen am Pool nachspielen und darüber diskutieren, was für und wider das Reservieren mit Handtüchern spricht. Auch so lernt man etwas über das Wesen des Konflikts. Ein Englischlehrer hat ein Vokabelspiel ersonnen, das ihm mit minimalem Zeitaufwand zeigt, ob bei allen der Stoff sitzt. Und noch einmal erwähne ich jene „Frau Fessor“ für Physik und Chemie, in deren Unterricht es stinkt und raucht und knallt.

Aber all die Initiative nützt nur bedingt, solange sich an der Struktur nichts ändert, solange es nicht darum geht, dass jedes Kind möglichst viel lernt, sondern darum, die „schlechten“ Schüler zu identifizieren – und Mitschuld daran, dass sich nichts ändert, tragen: wiederum die Lehrer, und zwar in Gestalt der Lehrervertreter, die Klientelpolitik betreiben, was ja ihre Aufgabe ist, dabei aber beharrlich so tun, als ginge es ihnen um das Wohl der Kinder oder gar der Gesellschaft.


Postskriptum. Aus Hannahs Biologiebuch, Thema Verdauung: „Die Zähne sind durch Bindegewebsfasern fest in den Zahnfächern der Kiefer verankert. Befestigt werden die Fasern im Zahnzement sowie am Kieferknochen. Dieser Aufhängeapparat wird in der Fachsprache Paradontium genannt.“ Das ist nur der Anfang, im Darm wird es richtig kompliziert. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich kann akzeptieren, dass Hannah Details lernt, die sie nach zwei Wochen vergessen haben wird. Ich sehe nur die Gefahr, dass sie sich ob all der Details an die wichtigen Fakten auch nicht mehr erinnern kann. Deshalb nenne ich das Lehrbuch: überfrachtet.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2012)

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