Anti-Weihnachtslied

Bei uns dudelt in Endlosschleife das Anti-Weihnachtslied „Fest der Liebe“. Ein grantiger Jesus singt da: „Heute ist mein Geburtstag, also feiert bitte einfach – mich.“

Noch ist Weihnachten bei uns ein klassisches Familienfest. Noch kommt pünktlich zum ersten Advent ein Kranz ins Haus, der traditionell mit Sternen aus Bügelperlen verziert wird. Noch hängt ab 1. Dezember der Kalender mit dem aufgestickten Weihnachtsmann am Fenster. Noch beharren die Kinder darauf, dass an den Adventsonntagen ganz traditionell gesungen wird – und am Heiligen Abend streiten sie sich dann genauso traditionell darum, wer welche Kerzen ausblasen darf, woran man sieht, dass man immer einen Grund zum Streiten finden kann.


Doch die Dinge ändern sich. Die Zeiten, als zumindest Marlene noch glaubte, der Weihnachtsmann persönlich befülle den Kalender mit Süßigkeiten und kleinen Gutscheinen („Der Weihnachtsmann hat geschrieben, du musst mit mir ins Kino gehen!“) sind vorbei. Zum Nikolausabend bekommen mittlerweile nicht nur die Kinder einen Brief vom Heiligen Nikolaus, sondern auch die Erwachsenen („Liebe Eltern von Hannah und Marlene, das Christkind ist leider krank, und das Ersatzchristkind war so unzuverlässig, dass ich es feuern musste. Könntet ihr wieder einspringen und die Geschenke kaufen?“).

Und an den Adventsonntagen singen wir auf Hannahs Anregung hin statt „Maria durch ein Dornwald ging“ einen Song von Ytitti, der seit Wochen in Endlosschleife durch unser Haus dudelt: Ytitti ist eine Gruppe von Jugendlichen, die auf YouTube Unfug treiben, und zwar so erfolgreich, dass sie es hin und wieder auch in die deutschen Charts schaffen, etwa mit eben diesem „Fest der Liebe“, das alles hat, was ein Anti-Weihnachtslied braucht: Ein Heiliger Abend, an dem die Eltern auf Harmonie pochen, die Kinder nur an den Geschenken interessiert sind und die Jugendlichen sich auf eine einsame Hütte wünschen; Freundinnen, die das Geschenk mit „Du liebst mich nicht“ quittieren; schiefe Töne unterm Tannenbaum und eine Flöte, die im Feuer landet. Im Refrain taucht ein grantiger Jesus auf, der allein beim letzten Abendmahl sitzt und singt: „An Weihnachten geht es nicht nur um dich! Heut' ist mein Geburtstag, also feiert bitte einfach – mich.“

Nervigste Zeit des Jahres. Diesen Song findet Hannah, 13, also klasse und erinnert mich damit an die Zeit, als Weihnachten für mich die nervigste Zeit des Jahres war: zu viele Menschen auf den Straßen, zu viele Weihnachtslieder im Ohr, zu viel Kitsch in den Fenstern; aber auch zu viele Menschen, die über den Kitsch in den Fenstern, die Weihnachtslieder im Ohr und die Massen in den Straßen jammern.

Dass Hannah und Marlene Weihnachten jemals satt haben werden, kann ich mir trotzdem nicht vorstellen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2012)

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