Am Herd

Der Nigerianer, der Milliarden außer Landes schaffen will und unsere Hilfe braucht, war gestern. Die Fakes im Netz werden immer raffinierter – und politischer.

brandheiss und
höchst persönlichMein Mann hat mich darauf aufmerksam gemacht, auf dieses Foto, das derzeit durch das Netz geistert: Man sieht ein Kind, das über eine Reihe weißer Bündel springt. Es wirkt fröhlich, dieses Bild, auf den allerersten Blick. Aber dann entdeckt man, dass diese Bündel lauter Leichen sind. Leiche an Leiche liegt da, eingehüllt in Tücher. In großen, weißen Lettern liest man: „John Kerry used this picture to promote war in Syria.“ Und noch größer: „It's from Iraq in 2003.“

Das also ist der Vorwurf: John Kerry hat bei seiner Rede zum möglichen Angriff auf Syrien ein falsches Foto verwendet. Ein Foto, das fast zehn Jahre alt ist! Der Fotograf des Bilds, liest man weiter, sei fast vom Sessel gefallen, als er Kerrys Rede gesehen habe. Die Kommentare auf Facebook und Twitter sind entsprechend höhnisch: „Und dann wundern sie sich, wenn wir misstrauisch sind“, schreibt einer. „Unfähigkeit oder Absicht?“, will ein Zweiter wissen. Ein anderer wird direkter: „Zeit, die Eiterbeule auszudrücken.“

Unkostenbeitrag. Ach, waren das noch Zeiten, als wir täglich über E-Mails von Nigerianern stolperten, die ganz, ganz dringend Geld außer Landes schaffen mussten. Oder – noch besser – von Bankangestellten aus Gambia, die ein herrenloses Konto entdeckt haben, das auf unseren Namen läuft, und die den Betrag gern überweisen würden – gegen einen geringen Unkostenbeitrag natürlich. Heute zielen die Fakes im Netz nicht mehr nur auf unser Geld, sondern auf unsere Meinung. Und sie sind raffinierter gemacht. Denn tatsächlich: Das Bild wurde 2003 im Irak aufgenommen. Und es wurde schon einmal falsch verwendet, von der BBC nämlich, das war 2012 und ultrapeinlich. Und wenn das der BBC passiert ist, kann das dem Kerry doch auch passieren, oder?

Oder eben nicht: Das Foto ist zwar falsch, doch Kerry hat es nicht gezeigt. Er hat es auch nicht erwähnt. Das kann man leicht recherchieren im Netz, das alles speichert, und das Relevante gleich dutzendfach.


Auch Piraten irren. Wie kam nun mein Mann zu diesem Foto? Durch einen Freund, der offenbar antiamerikanisch genug eingestellt ist, um nicht am Wahrheitsgehalt zu zweifeln. Aber auch Profis werden immer wieder Opfer von gut gemachten Fakes: Ausgerechnet die im Netz doch so sicheren Piraten fielen jüngst auf einen gefälschten Account herein, und ein österreichischer Topjournalist hat auf Twitter einen Beitrag empfohlen, der beweisen sollte, dass Rebellen für den Giftgasanschlag in Syrien verantwortlich waren. Das Problem: Der in diesem Beitrag zitierte AP-Journalist war zu dem Zeitpunkt gar nicht vor Ort.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.