Am Herd

Die Fotos von toten palästinensischen Kindern im Netz – sie dienen der Anklage, und ich soll mich ihr anschließen, ohne nachzudenken.

brandheiss und
höchst persönlichZwei kleine Kinder, eines noch ein Baby, ihre Körper hängen seltsam verrenkt in den Armen zweier Männer. Ein verletztes Mädchen, es hat offensichtlich Schmerzen, seine Unterschenkel sind voller Blut. Ein totes Kind unter Trümmern, man sieht nur den staubigen Lockenkopf.

Ich will diese Bilder nicht sehen.

Warum will ich diese Bilder nicht sehen?

Weil sie wehtun, natürlich. Weil sie sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben, so schnell konnte ich die Fotos gar nicht wegklicken, die mir via Twitter und Facebook auf den Schirm meines Rechners gespült wurden. Der arme Vater! Die arme Mutter! Wenn ein Kind getötet wird, hört die Erde auf, sich zu drehen – so sollte es zumindest sein.

Aber es ist nicht nur so, dass mir die toten Kinder „zu viel“ sind, dass ich mich distanzieren und einen unbeschwerten Samstagnachmittag mit meinen Süßen verbringen möchte, ohne dabei an das zerschossene Baby denken zu müssen. Ich fühle mich auch manipuliert. Genau darum werden ja die Bilder ins Netz gestellt und verbreitet, damit ich schockiert bin, aufgewühlt, es sind Fotos der Anklage, und ich soll mich ihr anschließen, ohne nachzulesen, ich soll nicht nach dem Hintergrund des Konflikts fragen, nicht nach der Hamas, die Raketen in Schulen versteckt, nicht nach der Glaubwürdigkeit der Fotos, ich soll mich nicht informieren: Die Bilder sollen reichen. Die Emotionen sollen reichen.

Als ob die Emotionen hier einen Ausweg zeigen könnten.

Erinnert sich niemand mehr an Oslo? Die Bilder der Kinder werden missbraucht. Ihre kleinen, toten Leben, sie sollen jetzt der Sache dienen. Es geht ja so leicht, es liegt ja so nahe: Mit fröhlichen Buben und Mädchen lassen sich Milchprodukte verkaufen und Versicherungspolizzen. Mit sterbenden und toten Kindern macht man Propaganda.

Das sorgt auch unter Muslimen für Debatten. Als eine muslimische Britin grausame Fotos aus einem Krankenhaus im Gazastreifen postet, bittet eine andere, das in Hinkunft zu unterlassen. Sie schreibt von Würde, davon, dass es respektlos sei, die Bilder der zerschundenen Körper per Mausklick im Netz zu verteilen, und der Sache nicht diene. Die knappe Antwort: „Die Opfer hätten das sicher gewollt.“

Sie hat mehrere tausend „Freunde“, die andere nur 100.

Die leisen Stimmen werden noch leiser, die lauten lauter. Erinnert sich jemand an Oslo? Da schien er so nah, der Frieden! Radikale Palästinenser, rechtsextreme Israelis haben ihn torpediert. Sie sind die Gewinner dieses Krieges, der kein Ende nehmen will.

Die Bilder der toten Kinder im Netz – sie klagen beide Seiten an.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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