Warum ich gerne Steuern zahle

Ich gehöre zur Mittelschicht. Ich werde also von diesem Staat geschröpft. Warum ich trotzdem gern Steuern zahle.

Danke der Nachfrage: Es geht mir gut. Gerade sitze ich an meinem Computer und tippe. Es ist eine angenehme Tätigkeit. An einem angenehmen Arbeitsplatz. Im Winter wird geheizt, im Sommer gekühlt, manchmal fällt die Klimaanlage aus, dann schimpfen wir und sagen, dass man so nicht arbeiten kann. Was ich mache, ist ungefährlich und körperlich nicht weiter belastend, mich erwarten mit 60 keine Verschleißerscheinungen, kein kaputter Rücken vom Heben. Keine Krampfadern vom Stehen.
Allenfalls meine Sehkraft lässt vielleicht ein bisschen früher nach.

Für meine Arbeit bekomme ich gut bezahlt. Jedenfalls deutlich mehr als die Kindergärtnerin, die Marlene das Essen mit Messer und Gabel beigebracht hat, oder die Altenpflegerin, auf die meine Großmama immer wartete, damit sie ihr vor dem Schlafen einen Kuss gibt. Und viel, viel, viel mehr als die freundliche Frau, die auch im Sommer dick angezogen ist, weil es in der U-Bahnstation, wo sie den „Augustin“ verkauft, so zieht. Die hat auch studiert. Aber im falschen Land. Ich bin im richtigen Land geboren. Und das Studium hat mir der Staat finanziert. Keine Ahnung, was es gekostet hat.
Jetzt ernte ich die Früchte. Und die reichen, gemeinsam mit dem, was mein Mann verdient, für ein sehr gutes Leben. Das heißt zum Beispiel: Ein Kaffee-Vollautomat. Sommerurlaub in Italien. Sprachurlaub für die Kinder. Wir essen hin und wieder auswärts, wir gehen ins Kino, wir trinken nur guten Wein. Wir kaufen kein Billigfleisch. Wenn wir wollten, könnten wir uns einen Skoda Fabia leisten.

Angst. Natürlich ärgere ich mich über Verschwendung und Korruption, nicht weniger als andere. Natürlich habe ich Wünsche, die ich mir erfüllen könnte, wenn ich weniger Steuern zahlte (ein zweites Kinderzimmer!). Und wie viele habe ich manchmal Angst, morgen könnte alles ganz anders sein und dann haben wir zu wenig auf die Seite gelegt.
Aber wenn ich mir die Mühe machte, zusammenzurechnen, was der Staat mir bringt und was er mich kostet, schnitte ich wohl nicht so schlecht ab: Die Kinder sind in einen städtischen Kindergarten gegangen, eine öffentliche Volksschule, jetzt gehen sie ins Gymnasium, vermutlich werden sie später studieren, alles auf Kosten der Steuerzahler. Wir fahren U-Bahn und Bus, gehen ins subventionierte Museum, ins subventionierte Theater, die Büchereien versorgen uns mit Lektüre, in der Musikschule lernen die Kinder Posaune und Klavier. Und da rede ich noch gar nicht von essenziellen Dingen wie Recht und Sicherheit und Gesundheitswesen.
Wenn sich bei dieser Rechnung herausstellen sollte, dass ich doch viel mehr einzahle als ich bekomme? Dann stört mich das nicht. Weil, siehe oben: Es geht mir gut. Es geht mir wirklich gut. Da muss man nicht kleinlich sein.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

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