Die Bluse vom letzten Jahr

Ich wünsche mir eine Bluse, nämlich die Bluse vom letzten Jahr, nur in neu. Die alte hat nämlich ein Loch. Was, geht nicht? Ich habe geglaubt, alles geht?

Es ist Frühling und die Leiberln sind zu kurz. Konkret: Sie gehen Marlene gerade noch bis zum Nabel, und weil sie außerdem beschlossen hat, ihre Moderegel Nummer eins – Hosen, Hosen, Hosen, im Winter lang, im Sommer kurz, Hauptsache kein Kleid – diesen März zu brechen, gehen wir einkaufen. Einkaufen mit Marlene ist leicht. Jedenfalls leichter als mit Hannah, die der Meinung ist, zwei Jeans und fünf blaue T-Shirts seien schon eine Garderobe. Und viel, viel leichter als mit meinem Mann, der sich von Verkäufern alles aufschwatzen lässt, sogar graue Opa-Anzüge mit Hosenträgern, nur wenn er dafür umgehend das Geschäft wieder verlassen darf. Marlene ist anders. Flink und unkompliziert. Tatsächlich hat sie nach einmal Umdrehen und fünf Minuten Anprobieren drei komplette Outfits gefunden, und weil ich darüber so erleichtert bin und wir eh schon in der Mariahilfer Straße sind, schlage ich vor, die gewonnene Zeit zu nutzen: „Schauen wir doch noch eine Straße weiter, ich suche einen Rock!“

„Mama“, sagt Marlene, „warum brauchst du eigentlich neue Sachen, du wächst doch überhaupt nicht mehr?“


Ha! Mode! Tja, liebes Kind. Ich könnte jetzt so tun, als verstünde ich den tieferen Sinn dahinter, dass wir jedes Frühjahr lossprinten und uns ein neues rotes Sommerkleid kaufen, obwohl wir eh schon drei im Schrank hängen haben, nur sind die halt fuchsrot, magenta- und purpurfarben, und jetzt ist gerade Marsala angesagt. Ich könnte so tun, als würde ich mich nicht darüber ärgern, dass der Trenchcoat, der mir mit dem Argument verkauft wurde, er sei „absolut zeitlos“, sich als heuer untragbares Produkt der Nullerjahre entpuppt, weshalb ich mir einen neuen besorgen muss, der in ein paar Jahren wieder antiquiert sein wird. Ich könnte behaupten, ich unterstütze mit meinen Einkäufen halt die Textilbranche – weil wenn's der Wirtschaft gut geht, geht's uns bekanntlich allen gut.

Aber ich glaube nicht daran. Ich glaube ganz im Gegenteil, dass ich jeden März sinnlos die ersten Frühlingstage in engen Kabinen verbringe, wo Halogenstrahler von oben meine Blässe in Szene setzen und mich daran erinnern, dass zwei Schwangerschaften eine Bauchdecke eben doch in Mitleidenschaft ziehen. Ich glaube, dass es jeder Vernunft entbehrt, dass ich mich durch tausende Blusen wühlen muss, solche mit Streifen und solche mit Blüten, solche mit Schleifen und solche mit Abnähern, in Mint und Azur und in Marsala, obwohl ich doch nur eine einzige suche: jene vom letzten Herbst nämlich, schlammfarben und leicht zu bügeln, in die ich ein Loch gemacht habe.

„Mama“, sagt Marlene, „kauf dir in Hinkunft einfach alles zweimal.“

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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