Das rätselhafte schwarze Loch im Haus

Was macht denn der lang gesuchte Kreuzschlitzschraubenzieher in meinem Bett? Über Dinge, die verschwinden und wieder auftauchen.

Scheren. Ich kaufe andauernd Scheren. Kleine und große, teure und billige, spitze und vorne abgerundete, welche mit rotem Griff und welche ganz aus Metall, egal, Hauptsache Schere, Hauptsache Nachschub. Ich müsste längst eine ganze Kollektion haben! Und trotzdem: Jedesmal, wenn ich einen Mozzarella aus dem Plastik befreien oder ein Geschenk einpacken will, ist keine da.

Doch, eine: Die stumpfe, rote Plastikschere, die vor zehn Jahren mit einem Bastelset für Kleinkinder ins Haus gekommen ist.


Das Chaos nebenan. Es geht mir nicht nur mit Scheren so, auch mit Radiergummis. Mit Maßbändern. Und mit Salzstreuern. Wenn ich sie brauche, suche ich sie vergeblich, und ich kann nur vermuten, wo sie hingekommen sind. Ins Kinderzimmer. Oder ins Zimmer meines Mannes. Wobei Letzteres schlimmer wäre. Denn während für das Kinderzimmer der urgroßmütterliche Spruch gilt: „Was das Haus hat gschlunden, wird immer gfunden“, vielleicht um ein paar Zentimeter kürzer (Maßband) oder leer (Salzstreuer), aber immerhin, ist Stephans Arbeitsraum das Bermuda-Dreieck der Dinge. Dort verschwinden nicht nur Scheren und Radiergummis, sondern auch Geburtsurkunden und Reisekoffer für immer. Das ist sogar den Kindern unheimlich. An ihrer Tür hängt ein Schild: „Wenn Sie das hier Chaos nennen, dann werfen Sie doch einen Blick ins Zimmer nebenan.“

Eines der Dinge, die ich schon länger vermisst habe, war mein roter Kreuzschlitzschraubenzieher. Das war doppelt merkwürdig. Erstens weiß in dieser Familie außer mir niemand, wie man so einen Kreuzschlitzschraubenzieher überhaupt bedient. Und zweitens verschwand er nicht nur einmal, sondern mehrmals hintereinander und tauchte dann jedesmal an einer anderen Stelle wieder auf. Auf dem Sofa. Vor dem Fernseher. Im Bad. Zuletzt fand ich ihn in meinem Bett! „Warst du das“, fragte ich meinen Mann. „Was ist das?“, sagte der.

Am Ende lag die Antwort auf der Hand bzw. in den Händen unserer älteren Tochter. Sie verwendet ihn – um damit zu jonglieren.


Post scriptum. Ich möchte mich an diesem Sommertag bei der Modeindustrie bedanken. Früher musste ich dauernd neue Jeans kaufen, weil Kinder ja niemals am Boden hocken, sondern prinzipiell knien und dabei die Hosen durchscheuern. Seit aber in jeder Boutique Jeans mit Löchern hängen, trägt Marlene sogar die Hosen von Hannah auf und findet das cool. Und wenn die Löcher handtellergroß geworden sind, schneidet man die Hosenbeine ab und hat: ausgefranste Shorts. Sind jetzt schwer schick. Allen jungen Eltern wünsche ich, dass der Trend noch ein paar weitere Jahre anhält.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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