YouTube

Wie es kam, dass unsere Kinder im Urlaub einem Merkel-Interview entgegenfieberten. Und warum sie jetzt finden, es sei "halb so schlimm" gewesen.

Ich präsentiere Ihnen heute: YouTube. Ein YouTube, das Sie garantiert nicht kennen, wenn Sie nicht zwischen zwölf und 18 sind bzw. Kinder in diesem Alter haben. Dieses YouTube ist nicht einfach eine Seite, die Hannah und Marlene anklicken, weil sie einem Facebook-Link folgen oder an einem faulen Tag den „Lazy Song“ von Bruno Mars suchen. Es ist für die beiden die Quelle der Information und Unterhaltung schlechthin, eine eigene Welt. Beherrscht wird sie von Netzwerken wie Mediakraft oder Studio71, ihre Stars tragen Namen wie Gronkh, Unge, Behaind und Marie Meimberg: Das sind YouTuber, die Nachrichten, Sketches, Songs und so was wie Talkshows produzieren – soweit kann man als Erwachsener noch folgen – oder sich dabei aufnehmen, wie sie „Minecraft“ spielen, was dann „Let's play“ genannt wird und enorm beliebt ist. Ach ja, um mit einem Vorurteil aufzuräumen: Die wichtigsten Tiere auf YouTube sind nicht Katzen. Es sind Meerschweinchen, und sie heißen Prinzessin Petit Four, Banana Colada und Mööh.

In dieser Welt gab es letzte Woche eine Sensation. LeFloid, der hippelige Anchorman der Generation YouTube, hat Angela Merkel interviewt. Ein YouTuber! Die deutsche Kanzlerin! Tagelang nutzten die Kinder ihre spärliche Internetzeit im Urlaub („Wir haben im Apartment kein WLAN – Juhuu“, rufen wir Eltern), um zu verfolgen, was zu dem Thema auf Facebook und Instagram gepostet wurde. Montagabend war es dann so weit: Pflichtbesuch im WLAN-Strandlokal. LeFloid bringt nämlich seine Videos immer montags und donnerstags raus. Das YouTube von heute ist etwa so verlässlich wie das Fernsehen von damals.

Ich habe mitgeschaut: Ich wollte wissen, ob es vielleicht einem YouTuber möglich ist, Spitzenpolitikern etwas anderes als Geschwurbel zu entlocken. Kurz: Ist es nicht, was schade ist, aber auch beruhigend, sonst hätten wir Journalisten all die Jahre etwas falsch gemacht. Nach einer Viertelstunde war meine Geduld jedenfalls erschöpft, während die Kinder durchhielten: 30 Minuten über TTIP, Seehofer, Whistleblower, Bildungsreform. Am Ende fand Marlene, Merkel hätte weniger unterbrechen und LeFloid mehr nachfragen sollen, etwa als es um die Homosexuellenehe ging. Hannah dagegen war froh, dass sich LeFloid nicht komplett blamiert hat, sie kennt seine Grenzen und weiß, dass er zu wenig informiert ist, um wirklich nachhaken zu können. Sie zieht mittlerweile MrWissen2go als Informationsquelle vor.

Wie auch immer: Fast drei Millionen Klicks sprechen für sich, sonst kommt LeFloid nur auf eine Million, es wird also garantiert nicht das letzte Interview mit einem Spitzenpolitiker sein, das von einem YouTuber geführt wird, und nicht das letzte, das meine Kinder verfolgen. Und das ist gut so.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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