Neue Lehrer hat das Land

Neue Lehrer braucht das Land, sagt man. Ich behaupte: Es hat sie schon, und wo man sie lässt, verändern sie das Schulsystem von innen heraus.

Die Schule war uns empfohlen worden, und zwar von Eltern, die ähnlich ticken wie wir. Sie war frisch renoviert. Leicht zu erreichen. Und sie hatte als eine der ersten österreichweit die Modulare Oberstufe eingeführt, was bedeutet: Die Schüler stellen sich den Stundenplan zum Teil selbst zusammen. Im Netz konnte man das Kursbuch einsehen. „Das Licht, eines der rätselhaftesten Phänomene der Physik“, stand da. Oder: „Die Börse, Drehscheibe für Anleger und Unternehmer“.

Wir gingen zum Tag der offenen Tür.

Während unsere Tochter schnitzeljagdmäßig das Gebäude erforschte, befragte ich die Schüler („Wie viel Prozent der Experimente im Physikunterricht gehen eigentlich schief?“) und die Lehrer („Ist die Modulare Oberstufe mehr als ein Marketing-Gag?“). Die Schüler fanden die Frage seltsam. Die Lehrer waren überraschend ehrlich: Sie erklärten mir, dass dieser Schulversuch von den Kindern ein hohes Maß an Selbstständigkeit erfordere. Dass sie den organisatorischen Aufwand unterschätzt hätten. Dass die Direktorin in Pension gehe, und ob der Nachfolger den Schulversuch fortführen werde, wisse man noch nicht. Eines aber wussten alle, mit denen ich sprach: Sie hatten die Modulare Oberstufe gemeinsam mit der Schulleitung entwickelt. Sie waren von dem Konzept überzeugt. Sie wollten unbedingt so weiterarbeiten.

Wir haben unsere Tochter angemeldet.

Freie Wahl. Hier ist Zeit für ein paar technische Details. Modulare Oberstufe bedeutet, dass Schüler, die in einem Fach negativ abschneiden, nicht die Klasse wiederholen müssen, sondern nur das Fach. Durchfallen gibt es also nicht, dafür muss jeder Schüler in jedem Semester jedes Modul positiv abschließen. Den großen Unterschied machen aber nicht die formalen Neuerungen, sondern die inhaltlichen: Die klassischen Fächer werden nur am Vormittag unterrichtet, am Nachmittag dürfen die Schüler auswählen: Spanisch oder Astronomie, Mathematik-Intensivtraining oder Physik der Haushaltsgeräte, und wenn man sich für Literatur und Geschichte interessiert, kann man unter dem Titel „Tribute von Panem“ reale und fiktive Diktaturen vergleichen.

Wie es weitergegangen ist? Mittlerweile besucht auch unsere Jüngere dieses Gymnasium, die ältere hat schon ein Jahr Modulare Oberstufe hinter sich, und ihr fällt nur ein einziger Nachteil ein: Dass der Stundenplan sich jedes Semester ändert, was die Koordinierung mit außerschulischen Aktivitäten erschwert. Ab 2017 soll die Modulare Oberstufe kein Schulversuch mehr sein – sie wird in allen Schulen eingeführt. Ob man dieses System wirklich von oben verordnen kann? Wie es wohl genau aussehen wird? Ich bin jedenfalls gespannt, was das Ministerium sich von seinen Lehrern abgeschaut hat.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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