Brandheiss und höchst Persönlich

Am Rand stand ein slowenischer Polizist in voller Montur und hatte ein Baby im Arm. Warum hatte er ein Baby im Arm?

Der Montag war ein schöner Tag. Mein Mann und ich waren bei Freunden eingeladen, auf ihrer Dachterrasse mit Blick über Wien. Wir grillten echte und vegane Würstel, tranken Weißwein aus der Wachau und schauten über die Stadt, bis die Wolken sich vor die Sonne schoben und es kalt wurde. An der Grenze zwischen Serbien und Kroatien saß ein dick eingemummter Flüchtlingsbub im Schlamm und blies Seifenblasen in die Luft, seine erschöpften Eltern schauten ihm zu.

Am Dienstag habe ich die Kinder geschimpft. Ganz schrecklich geschimpft habe ich sie, wie ich das nur ganz selten mache: Bis spät abends habe ich gearbeitet, und als ich heimgekommen bin, sind auf dem Wohnzimmerteppich nasse Handtücher gelegen und die Maus meines Computers war total verpickt. Dann beschwerten sie sich auch noch, weil es „schon wieder“ Nudeln gab! „Ich habe geglaubt, ihr mögt Nudeln?“ Auf Lesbos filmte eine Kamera die Ankunft eines Schlauchbootes. Die Männer jubeln, als sie Land betreten. Eine Mutter weint still vor sich hin. Das Kind in ihrem Arm schaut ausdruckslos in die Kamera. Ob es noch nicht versteht? Oder schon zu viel verstanden hat? Helfer eilen herbei und wickeln die Angekommenen in glitzernde Alu-Decken.

Am Mittwoch lese ich einen Bericht einer Kollegin über den Grenzübergang Achleiten. Flüchtlinge haben in der Nacht ein Feuer angezündet, um sich zu wärmen, und sich dabei fast in die Luft gesprengt: Gleich daneben war nämlich eine Tankstelle. Immer wieder sieht man auf Fotos Flüchtlinge auf Gleisen gehen oder sitzen. Ist ihnen das Gefühl für Bedrohungen verloren gegangen? Ich kitzle Marlene, bis sie quietscht und ich lachen muss. Das funktioniert immer, für sie und für mich.


Mit den Kindern im Kino. Am Donnerstag waren wir mit den Kindern im Kino. Wir teilten uns einen riesigen Kübel Popcorn, wir konnten gar nicht alles aufessen, so viel war das, und als ich aus dem Saal kam, war mir kurz die ganze Welt fremd. Dann habe ich uns zum Abendessen Sushi bestellt, das ist wenigstens gesund. In einer Reportage über den Grenzübergang bei Spielfeld, die an diesem Tag gedreht wurde, durchbrachen Menschen einen Zaun, mit einem Mal fingen alle an zu rennen, dorthin, wo sie Österreich vermuteten, und wer nicht rennen konnte, wie diese alte Frau, wurde getragen. Am Rand stand ein slowenischer Polizist in voller Montur und hatte ein Baby im Arm. Warum hatte er ein Baby im Arm?

Am Freitag besuchte uns eine Freundin. Sie kam in England auf die Welt, ihre Eltern hatten fliehen müssen. Sie sagt, sie fürchtet sich vor dem Antisemitismus mancher Flüchtlinge. Vor dem Rassismus mancher Österreicher fürchtet sie sich mehr.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.11.2015)

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