Die gekaufte Ruhe

Es ist etwas Seltsames mit Cafés. Ich kaufe dort nicht einfach einen Latte macchiato oder einen großen Braunen. Sondern paradoxerweise Ruhe.

Geschlossen. Das Café ums Eck hat geschlossen. Nicht nur heute, nicht nur morgen, kein Ruhetag ist schuld, und es ist auch nicht gerade Sperrstunde: für immer. Wo man früher durch hohe Scheiben einen Blick auf Zeitung lesende Damen und beim großen Braunen sich verständigende Herren werfen konnte, auf rot-samtene Bänke und eine Theke aus Holz, sieht man nur mehr breite Bahnen graubraunen Packpapiers. Das Schild mit den Öffnungszeiten ist abmontiert, der Schanigarten wird erst gar nicht mehr aufgebaut.

Schade.
Dabei war ich gar nicht so oft dort. Eigentlich nur, wenn jemand ein Treffen dort vorgeschlagen hatte. Oder wenn im altangestammten Lokal ein paar Schritte weiter kein Platz mehr frei war. Oder im Frühling: Da konnte man sich draußen bei einem Eiscafé die sanft wärmende Sonne ins Gesicht scheinen lassen, sobald sie am Nachmittag den Weg in die schmale Gasse fand.

Ein bisschen plagt mich das Gewissen: Irgendwie bin ich im alten Trott verharrende Konsumentin ja mitverantwortlich, dass der freundliche Betreiber aufgeben musste und in den Schaufenstern bald Kostüme, Schals und Pullover hängen werden, weil sich in dieser Stadt im Moment ja alles in eine Boutique zu verwandeln scheint. Als brauchten die Bewohner ununterbrochen neue Sachen zum Anziehen und nicht viel eher Schinken-Käse-Toast, ein kleines Gulasch und Kellner, die gar nicht so grantig sind, wie alle immer tun.


Besteck klappert. Es ist etwas Seltsames mit Kaffeehäusern. Ich kaufe dort nicht einfach einen Latte macchiato, sondern Ruhe: Wenn rundherum das Besteck klappert und die Gläser klingen, wenn am Nebentisch links und am Nebentisch rechts und auch am Tisch gegenüber die Menschen plaudern und streiten, sich besprechen und versöhnen, wenn hier einer die Rechnung verlangt und sich dort eine ganze Gruppe umständlich niederlässt, nicht ohne zu fragen, ob der Sessel da drüben eh noch frei ist. Wenn Krach ist und Bewegung und es so laut ist, dass ich nicht einmal mehr mein Handy höre, wie es in der Tasche vor sich hin bimmelt, dann wird es in mir ruhig, so ruhig wie im Auge eines Hurrikans – zumindest sagt man doch, es sei dort unglaublich ruhig.

Ich kann dann lesen oder schreiben oder in die Luft starren, man umsorgt mich und tischt mir einen Apfelstrudel mit ganz viel Schlag auf, manchmal treffe ich zufällig jemanden, den ich kenne, aber er wird sich nicht an meinen Tisch setzen, sondern mich nur freundlich grüßen und dann weiterziehen.

Und normalerweise weiß ich: Ich kann jederzeit wiederkommen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.