Buben sind halt so

Buben sind halt so. Das muss man verstehen! Und die Mädchen? Neueste Nachrichten aus dem Kinderzimmer.

Meine Tochter hat einen Ring geschenkt bekommen. Von einem lieben Freund. Er hat ihn ursprünglich für sich selbst gekauft, dann aber beschlossen, ihn an Hannah abzutreten. „Der Lukas trägt Ringe?“, frage ich. „Klar“, sagt Hannah: „Ist dir das noch nicht aufgefallen? Mehrere! Das schaut total fancy aus! Aber der hier ist ihm zu klein.“

Der hier ist ein Ring mit einem schmalen, goldfarbenen Reif und einem kleinen zur Raute geschliffenen Türkis in einer dezenten Fassung. Ein hübsches Stück. Lukas hat offenkundig Geschmack. Hannah steckt sich den Ring an den Finger, wedelt ein bisschen mit der Hand in der Luft herum, macht eine Faust und sagt dann: „Ich fühl' mich voll Gangsta!“

Jetzt muss man wissen, wie man von einem schmalen Goldreif zum Gangsta kommt, aber als gelernte Mutter von Hannah und Marlene fiel mir das nicht rasend schwer. Die Kinder hatten immer schon ein Faible für etwas derbere Spiele. Im Kindergarten bastelten sie aus Duplo Gewehre, rollten Plastilin zu Munition, und Marlene ballerte mit aufgelesenen Stecken in der Gegend herum – und wehe, ich versuchte einen zu entsorgen! Noch in der Volksschule knabberten sie aus jedem Pumpernickel einen Pistolenlauf. Und zu Ostern vor ein paar Jahren trugen die beiden all die Schoko-Küken, Gelee-Lämmer und Kinderüberraschungs-Hasen, die sie in ihren Nestern gefunden hatten, zusammen und bildeten daraus auf dem Küchentisch zwei Bataillone. Unglaublich, wie martialisch Süßigkeiten wirken können, wenn sie in V-Formation stehen. Marlene taufte die Schlacht: Schoko-Wars.

Keine Überlebenden.


Bibis Beauty Palace. So war das damals, und so ist es heute, beunruhigt hat es mich nie, es sind friedfertige Geschöpfe, die in der Fantasie ihre aggressive Seite ausleben, Mädchen sind halt so. Und darum denkt Hannah, wenn sie einen Ring trägt, nicht an die Schmink-Tutorials von Bibis Beauty Palace oder an den Look irgendeines Popstars, sondern sie hat einen Rapper mit Totenkopfschmuck vor Augen oder einen Gangster, der seinem Gegner einen Kinnhaken verpasst – und der Siegelring verleiht dem Schlag noch besondere Wucht. „Das wird mein Markenzeichen sein“, sagt sie: „Wenn ich zuschlage, bleibt eine kleine rautenförmige Narbe!“

Als Mutter hab ich natürlich versucht, sie auf den Boden der Tatsachen zu bringen und ihr gesagt, sie soll mir kurz die Hand geben – und hab dann zugequetscht. Also nicht ganz fest, nur ein bisschen. „Aua!“ – „Siehst du?“, hab ich gesagt: „Das passiert, wenn man einen Ring trägt!“ – „Mama, du glaubst wirklich, dass Gangster einander die Hand schütteln?“

Um im Bild zu bleiben: Ich gab mich geschlagen.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.