Frühling

Der Frühling in der Stadt fällt nicht ganz so üppig aus, er ist ein bisschen schüchtern. Aber nicht weniger schön.

Die Winterstiefel sind schon verräumt. Das Grün der Bäume ist noch hell und zart: Es ist Ende April. Schnee könnte fallen, warnt der Wetterbericht. Wir könnten aber auch bald schwimmen gehen, sagen wir uns, Anfang Mai öffnen die Freibäder ihre Tore, und die Mieter der Kabanen werden an weißen Plastiktischchen Karten spielen. Alles ist möglich. Nackte Beine und kalte Ohren, leichtes Kleid oder Pullover. Sicher ist nur: Wo die Sonne hinscheint, wärmt sie. Und der Sommer wird kommen.

Der Frühling in der Stadt ist nicht so üppig wie auf dem Land, er ist ein bisschen schüchtern, aber nicht weniger schön: Hier blüht auf dem Parkplatz der Flieder, ein paar Gassen weiter knospen die Bäume einer kleinen Allee. Am Straßenrand finden sich Gänseblümchen und der erste Löwenzahn, sogar in den Ritzen zwischen dem Kopfsteinpflaster zeigt sich zaghaftes Grün. In der Früh zwitschern die Vögel, leise, aber deutlich, das Wasser des Donaukanals glitzert grünlich-silbern, und im Volksgarten machen sich die Bienen über die frisch gepflanzten Stiefmütterchen her.

Weil er so schüchtern ist, der Frühling, sind wir natürlich doppelt grantig, wenn es regnet.
Sobald aber die Sonne scheint, ist alles auf den Beinen. Der Park ums Eck füllt sich mit Leben. Unter den noch schütteren Platanen, die im Sommer Schatten spenden werden, strecken Eltern ihre Glieder aus, als wären sie über den Winter eingeschlafen. Die Kinder in der Sandkiste sind gerade dabei, ein riesiges Loch zu schaufeln. Auf dem Balken über der Schaukel sitzen zwei Volksschülerinnen, schauen auf die Vierjährigen herunter und lassen arrogant die Beine baumeln.

Sonnenbrillen. Weil ich keine kleinen Kinder mehr habe, gehe ich ins Café. Dort stehen endlich wieder die Tische draußen, zwei Frauen mit großen Sonnenbrillen wickeln sich in oranger Decken, die Männer neben ihnen frieren lieber und trinken Espresso. Auch ich friere. Trotz oranger Decke. Nie ist mir so kalt wie im Frühling, aber das ist mir egal. Lieber noch ein paar Minuten draußen bleiben, vielleicht lugt die Sonne ja doch noch hinter den Wolken hervor. Lieber trotz leichten Regens mit dem Rad fahren. Lieber das Fenster noch ein bisschen länger offen lassen, als müsste der letzte Geruch des Winters hinaus.

Wenn wir Städter im Frühling die Fenster öffnen, lassen wir nicht nur Licht und Luft in unsere Zimmer, sondern auch die Geräusche der Straße: Kinderlachen, Teenagergekeppel, die mühsam beherrschte Stimme eines Vaters. Einen startenden Motor. Musik aus dem Autoradio. Und natürlich Kirchenglocken. Der Frühling und der Klang der Kirchenglocken, den der Wind mir in die Wohnung trägt, gehören für mich zusammen.
Bald ist Mai. ?

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2016)

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