Ein grauenhafter Fehler

Es war ein Fehler, ein schrecklicher Fehler. Aber es ist alles noch einmal gut gegangen. Und was jetzt? Wie hoch soll, wie hoch darf die Strafe sein?

Man kann es sich schwer vorstellen: Wie da mehr als 80 Volksschulkinder, begleitet von vier Lehrern, begleitet von mehreren Eltern, die Bahngleise überquerten. Unter den schon herabgelassenen Schranken durchschlüpften. Von jenen durchgewinkt wurden, die auf sie aufpassen sollten. Da die Schnellbahn nach Wien ja nicht wartet. Da sie nicht zu spät kommen wollten.

Kurz darauf brauste ein Zug vorbei.

Was da hätte geschehen können! Aber daran denken wir jetzt nicht, das wollen wir uns nicht ausmalen, und es ist auch nicht passiert. Die Kinder, sie lagen an diesem Sommerabend wieder wohlbehalten in ihren Betten, sie kriegten vermutlich nicht einmal einen Schreck, aber dass nichts geschah, bedeutet nicht, dass nichts geschehen wird. Drei der Lehrerinnen, erklärte der Stadtschulrat, werden entlassen. Eine vierte, die pragmatisiert ist, vermutlich auch. „Schwerwiegende Dienstpflichtverletzung“ heißt das, was man ihnen vorwirft.

Es war ein grauenhafter Fehler!

Aber niemand ist zu Schaden gekommen!

Das passiert garantiert nie wieder!

So etwas darf aber gar nicht erst passieren!

Sie haben es nicht mit Absicht gemacht!

Aber sie waren verantwortlich!

Es stimmt, sie waren verantwortlich. Und wenn Volksschüler in der Nähe sind, erwarten wir sogar von unbeteiligten Erwachsenen, dass sie sich im Straßenverkehr vorbildlich verhalten, dass sie etwa bei Rot stehen bleiben, auch wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist.

Es ist unverzeihlich.

Aber doch.

Niemand denkt nach. Ich stelle mir vor, vier Lehrerinnen und mehrere Dutzend Kinder, dazu noch ein paar Eltern. Stress. Ich stelle mir vor: Die letzte Schulwoche. Man ist zu spät dran. Es gibt Direktiven, dass der Schulausflug nicht länger als fünf Stunden dauern darf. Man will keinen Fehler machen und macht deshalb erst recht alles falsch: Einer macht einen Vorschlag, vielleicht einer, dem man vertraut, der bis jetzt immer vernünftige Vorschläge gemacht hat. Dieser eine hat nicht nachgedacht, man selbst denkt auch nicht nach, niemand denkt nach.

Wie es ihnen jetzt wohl geht, den Lehrerinnen? Ob sie jemals wieder einen Job finden werden? Ob sie jemals wieder einen Job finden wollen, in dem sie für andere Verantwortung tragen? Für Kinder? Und ob die Eltern, die nun ebenfalls mit einer Anklage zu rechnen haben, wegen „fahrlässiger Gemeingefährdung“ nämlich, wieder einen Schulausflug begleiten werden?

Es war ein wirklich unglaublicher Fehler.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 17.07.2016)

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