Schimpfen

Im Schimpfen bin ich ausnehmend konservativ – fast möchte man sagen: unkreativ. Eine kleine Umfrage ergibt: Ich bin damit nicht allein. Und keiner sagt mehr: Bluzabirn.

Und dann bin ich ausgetickt. „Diese blöde Kuh“, habe ich gerufen. „So eine wahnsinnig dumme Urschel.“ Ich wollte noch weiterschimpfen, über die Verkäuferin, diesen Trampel, aber eben, außer „Trampel“ fiel mir nichts mehr ein, wie peinlich. Jetzt lebe ich seit bald 30 Jahren in Wien, jener Stadt, die stolz ist auf ihre Kultur der verbalen Attacke, in der man sogar Lieder kennt, die im Wesentlichen aus der Aneinanderreihung von Beleidigungen bestehen, wobei sich „Bluzabirn“ auf „Kaiblhirn“ und „paniertes Aas“ auf „du reitst auf ana Gaas“ reimt. Und ich bringe nicht mehr zustande als das?

Trottel, Nockn. Ich habe dann eine Umfrage unter Freunden und Kollegen gestartet und festgestellt: Ich bin nicht allein. Am beliebtesten waren „Koffer“, „Trottel“ (für depperte Männer), „Nockn“ und „Funsn“ (für depperte Frauen). Wer Kinder hat, führt noch „Opfer“ und „Asi“ im Wortschatz, zumindest passiv. Aber besonders kreativ war das nicht. Keine „Evolutionsbremse“, kein „Nepochant“, ja nicht einmal ein „Gfrastsackl“, ein „Wappler“ oder eine „Bissgurn“, dabei fand die Befragung unter Laborbedingungen statt! Also: entspannte Atmosphäre, normaler Blutdruck – und alle waren noch nüchtern.

Das ist ja, wenn man ausflippt, nicht generell der Fall, man ist zumindest nicht im Vollbesitz seiner semantischen Kräfte, deshalb sind die besten Schimpfwörter auch so kurz: Aff. Depp. Lapp. Damit ist alles gesagt, wenn man mehr sagen will, genügt ein vorangestelltes „blöd“. Zwei Silben gehen auch noch, zur Not auch drei. Aber vier? Bis man das ausgesprochen hat, ist der Konflikt gelöst!

Darum setzen sich ja auch all diese angeblichen Jugendwörter des Jahres nie durch. „Alpha-Kevin“? Keine Chance. „Beckenrandschwimmer“? Da ist einer nicht wütend, sondern selbst uncool. „Internetausdrucker?“ Nie gehört. Generell gilt: Schimpfwörter sind beständig, während es mindestens fünf neue Begriffe gibt dafür, dass jemand süß ist, hat sich schimpfend eigentlich nur das „Opfer“ durchgesetzt. Die wichtigere Neuerung im Jugendschimpf: Statt „blöd“ sagen Kinder und Teenager entweder „total“ oder „voll“. Jemand ist also kein „blöder Arsch“ mehr, sondern „voll der Arsch“.

Krüppelgspü. Und was ist nun mit dem oben erwähnten „panierten Aas“? Oder mit dem „Krüppelgspü“ aus demselben Lied? Das ist dann nicht mehr Affekt, das ist schon Kunst. Sollte mir jemals auf freier Wildbahn, also im Straßenverkehr, ein Wiener damit kommen, es muss nicht einmal, wie im Original, ein Fiaker sein, werde ich vom Rad steigen, einen imaginären Hut ziehen und sagen: „Gschamster Diener“. So viele Silben müssen dann schon sein.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

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