Erziehung leicht gemacht

Im Grunde muss man als Vater oder Mutter nur auf das Gefühl verzichten, alles besser zu wissen als die anderen Eltern.

Wir sind ja schon eine scheinheilige Spezies. Da quetschen wir uns bei viel zu langen Elternabenden in viel zu kleine Bänke, frieren uns gemeinsam an kalten Oktobersonntagen im Park die Beine ab, zeigen uns gegenseitig die Karotten, in die wir Smileys geschnitzt haben, tauschen Ratgeberbücher übers Durchschlafen aus – und bei all dem sind wir überzeugt: Eigentlich machen die anderen Mütter und Väter das falsch – sie ziehen das Baby nicht warm genug an (es braucht eine Haube!) oder lassen es unter all dem Stoff fast ersticken, sie stecken ihr Kind in überflüssige Frühförderkurse oder sind zu bequem, ein paar Englisch-Vokabeln abzufragen, sie arbeiten zu viel und kaufen sich mit Geschenken frei, sie haben kein eigenes Leben und hocken deshalb dauernd auf den Kindern drauf. Dabei wissen wir doch, was die brauchen: Man muss ihnen Disziplin beibringen! Ihnen doch ihre Freiheit lassen! Sie nicht dauernd bevormunden! Und Grenzen setzen!

Und bitte: Die Volksschüler am Nebentisch starren während des Essens dauernd aufs Handy. Was ist das denn für ein asoziales Verhalten?

So, und wenn Sie selber Kinder haben: Geben Sie doch zu, dass Sie wenigstens bei einem dieser Sätze insgeheim genickt haben, weil so sind wir: Es ist ein offenbar bei der Geburt des Nachwuchses erworbener psychischer Defekt, der uns glauben lässt, wir wüssten alles besser. Dass es nur so geht, wie wir das machen. Eigentlich sind wir überzeugt: Würden alle ihre Kinder so erziehen wie wir, dann müsste sich heute keiner ums Schauferl streiten, und morgen gäbe es Frieden in der Welt.

Helikopter-Eltern. Zum Glück werden die Kinder älter. Und zum Glück haben wir nie etwas laut gesagt! Denn irgendwann passiert etwas Erstaunliches: Man kann beobachten, wie all die komplett falsch, weil zu autoritär, zu antiautoritär, zu helikopterig oder zu vernachlässigt, zu dings oder zu dangs aufgewachsenen Kinder sich zu völlig normalen Teenagern entwickeln, als sei es wurscht, was wir da über ein Jahrzehnt lang pädagogisch vorgehüpft haben: Die Paula, die in der 1. Klasse den Schnuller unterm Pult versteckt hat, hat weder ein verformtes Kiefer noch eine verformte Psyche, die völlig entfesselte Mara ist heute Klassensprecherin. Und dem apathischen Jonathan, der seinen Blick nie vom Nintendo wandte, ist Hannah neulich beim Tanzkurs begegnet, der ist total nett, sagt sie.

Und vielleicht ist es wirklich wurscht, solange wir unsere Kinder lieben, solange sie uns wichtiger sind als das, was andere über sie sagen – und auch wichtiger als das, von dem wir gern glauben, dass es richtig ist. Vielleicht kann man gar nicht so viel falsch machen.

Und das ist eine positive Nachricht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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