Heute ist Herbst

Nein, man schreibt keine Kolumnen darüber, dass man gerade keine Kolumnen schreiben mag, das ist zu billig. Aber heute ist das anders, heute ist Herbst.

Es war Donnerstag. Donnerstag ist mein Schreibtag. Da sitze ich in einem Café, trinke eine Melange, esse einen Apfelstrudel mit Schlag, auf den der Ober meist noch ein bisschen Zimt streut, und tippe. Ich tippe. Und schaue. Und tippe. Und kaue. Ich mag das. Meistens stehe ich erst wieder auf, wenn die Kolumne fertig ist, zumindest soweit fertig, dass ich am Freitag nur mehr ein bisschen daran herumfeilen muss, dann zahle ich und gehe mit gutem Gewissen nach Hause.

Aber diesmal nicht. Diesmal habe ich geschaut und gekaut, ein paar Zeilen geschrieben, der Frau am Nebentisch zugehört, die von der U-Bahn in Nordkorea geschwärmt hat, ein paar Zeilen gelöscht, ich habe Zeitungen durchgeblättert und im Internet nachgeschaut, ob es in Nordkorea wirklich eine U-Bahn gibt. Ich habe am Handy rumgespielt, noch ein paar Zeilen geschrieben, die ich nach einem Schluck Kaffee wieder gelöscht habe, und dann aufgegeben.

Lesen, wie als Kind. Ich weiß, man soll keine Kolumnen darüber schreiben, dass man keine Kolumnen schreiben mag, oder dass einem nichts Vernünftiges einfällt, es ist der billigste unter den billigen Kolumnisten-Tricks, aber diese Woche ist alles anders, diese Woche ist nämlich Herbst. Und zwar ziemlich plötzlich. Deshalb bin nach Hause gegangen und habe Elena Ferrantes „Meine geniale Freundin“ gelesen, in einem Zug durch, 400 Seiten. Das mag ich nämlich im Moment: Lesen, wie als Kind, als gäbe es keine Aufgaben, die zu erledigen, keine Pläne, die zu schmieden wären, als sei heute nicht heute und morgen nicht morgen, was ja auch stimmt, zumindest solange die Geschichte nicht aus ist. Ich mag in meinem Lesesessel sitzen, den Kopf an der Lehne, die Beine auf dem Fensterbrett, den Mini-Rosenstrauch im Blick, wo noch die letzte gelbe Rose verblüht. Ich mag mit meinem Mann auf dem Sofa sitzen und fernschauen, eine Folge „Grace and Frankie“ nach der anderen, und dabei Tee trinken, den er mir in eine kühle Tasse umgeschüttet hat, damit er nicht zu heiß ist.

Ich will mich unter dicken Decken verkriechen, vom nächsten Urlaub träumen, in alten Fotoalben schmökern und am Abend Suppe essen. Und Rotwein trinken.

Spaß. Was ich im Moment überhaupt nicht mag: Weißwein. Oder Salat. Kastanien sammeln. Bunte Blätter auflesen. Einen neuen Staubsauger kaufen, weil der alte den Geist aufgegeben hat. Zum Elternabend gehen. Überhaupt irgendwohin gehen. Und eine Kolumne schreiben mag ich eben auch nicht. Außer diese hier, die ich eigentlich gar nicht schreiben sollte: Die hat, billiger Trick hin oder her, jetzt doch Spaß gemacht. 

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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