Ausgeladen

Meine Tochter hat uns vom Maturaball ausgeladen. Sie habe sich über sieben Jahre einen Ruf aufgebaut und keine Lust, ihn an einem Abend von uns zerstören zu lassen.

Okay, mein Mann. Das kann ich noch verstehen. Der ist imstande und verwickelt irgendwelche Passanten in ein Gespräch über Denkmalschutz und Profitgier. Der macht eine ganze Schlange vor der Käsetheke rebellisch, weil er wissen will, welches Gras die Kühe gefressen haben. Wenn mein Mann einen Fuß vor die Tür setzt, kann wer weiß was passieren – und ist auch schon passiert. Damals etwa, als Hannah mit der Klasse auf Skiwoche fuhr und Stephan sie ausnahmsweise, ganz ausnahmsweise zum Bus begleiten durfte. Erst nach Interventionen meinerseits übrigens: „Mir sind deine Snowboardsachen zu schwer!“, habe ich gesagt. „Aber der Papa kommt immer zu spät!“ – „Ich sag ihm einfach, der Bus fährt schon um halb.“ – „Aber der Papa ist ur peinlich!“

Da musste dann der Papa hoch und heilig versprechen, nicht peinlich zu sein, im Gegenzug durfte er das Board und die Boots schleppen und kam stolz nach Hause. Kein Eklat, nirgends. So sah es zumindest aus. Bis Hannah von einem Lehrer gefragt wurde, was denn ihre Mama, also ich, dazu sage, wenn ihr Papa, also mein Mann, mit seinen Kolleginnen flirte. Stellte sich heraus, dass Stephan beim Versuch, niemanden vor den Kopf zu stoßen, ein bisschen gar zu freundlich war.

Aufsicht. So ist er also. Aber ich? Ich bin doch cool! Mir kann man Emojis schicken, ohne dass ich ausflippe. Ich weiß, dass Smileys keine Nasen haben, dass man keinesfalls mehr „lol“ schreibt und es auf YouTube etwas anderes gibt als Bibi und die Lochis. Und ich habe mich immer an ihre Regeln gehalten: Kein Betreten der Klasse ohne Erlaubnis. Gespräche mit Lehrern nur unter Aufsicht. Und keine Umarmungen im Umkreis von 300 Metern der Schule!

Trotzdem hat Hannah uns vom Maturaball ausgeladen. Nicht nur meinen Mann. Auch mich! Sie habe sich über sieben lange Jahre einen Ruf aufgebaut und keine Lust, ihn an einem Abend von uns zerstören zu lassen. Sagte sie. Mehr war ihr nicht zu entlocken. Auch nicht unter der Drohung, wir könnten einen Tanzkurs machen und einen Tango aufs Parkett legen. „Haha“, sagte sie nur, „so schnell lernt das der Papa nie.“

Also kann ich nur rätseln. Hat sie Angst, ich könnte etwas ausplaudern? Dass sie in der Früh die Teller nicht in den Geschirrspüler räumt und das nasse Handtuch auf dem Bett liegen lässt? Befürchtet sie, ich könnte mich mit den Lehrern verbünden? Oder hat sie Geheimnisse vor mir? Stellt sich vielleicht heraus, sie hat sämtliche Zeugnisse gefälscht und macht dieses Schuljahr gar nicht ihre Matura?

Ich zweifle. Da erlöst mich das Kind. „Weißt du was, Mama“, sagt sie, „das ist Schule. Das geht euch einfach nichts an“.

Und da hat sie vermutlich recht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 16.10.2016)

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