Reden wir über Sexismus

Reden wir wieder einmal über Sexismus. Weil er nämlich von selber nicht vorbeigeht, so sehr wir uns das auch wünschen.

Meine Tochter hat mir einen Kommentar vorgelesen, den sie als Englisch-Hü verfasst hat. Es ging darin um die Unterscheidung zwischen Gender (soziales Geschlecht) und Sex (biologisches Geschlecht), also darum, dass vieles, was als typisch weiblich oder typisch männlich gilt, nichts mit unserer Weiblichkeit oder Männlichkeit zu tun hat, sondern damit, wie wir aufgewachsen sind. Dass also zum Beispiel Mädchen genauso gut sind in Mathe. Wenn man sie lässt. Hannahs Meinung dazu war: Eh klar, was muss man da noch groß darüber reden, das Thema ist doch durch. Bäm.

Was ich dazu sage?

Liebes Kind, sagte ich, wie ich das immer mache, wenn ich die Mutter hervorkehre, die vielleicht nicht alles, aber doch so manches besser weiß: Liebes Kind, das habe ich auch gedacht. Und zwar vor 30 Jahren. Damals haben wir noch nicht von Gender und Sex gesprochen, sondern von Feminismus und Gleichberechtigung, und ich war der Meinung, wir Frauen hätten alles erreicht, was zu erreichen ist. Das heißt: nicht wir, sondern unsere Mütter. Sie hatten uns den Boden bereitet, wir mussten ihn nur mehr beschreiten, ich war frei und stark und nichts konnte mich aufhalten. Sexismus? Pfff.

Feministen. Fünf Jahre später bin ich draufgekommen, dass das als Frau in der Berufswelt doch nicht ganz so einfach war, und als junge blonde Frau noch schwerer, und weil sich gegen mein Frau-Sein kaum etwas ausrichten ließ, färbte ich mir die Haare rot. Dunkelrot. Ziemlich grimmig sah das aus. Allein die Tatsache, wie gut das funktioniert hat, diese Umfärbeaktion, mit wie viel mehr Respekt z. B. Interviewpartner auf mich plötzlich reagierten, war ein Schock. Ich meine, das waren ja keine Hinterhof-Patriarchen, keine ungebildeten Chauvis. Das waren Autoren, Regisseure, Theaterdirektoren. Männer, die sich selbst als Feministen bezeichnet hätten.

Und trotzdem.

Ich denke mir, das war auch der Moment, an dem ich erkannt habe, dass es nicht nur um mich geht, die junge, unabhängige Frau mit Studienabschluss, sondern auch um die alleinerziehende Verkäuferin, der vom Filialleiter immer wieder auf den Hintern gegriffen wird. Das heißt, ich wünsche mir, dass ich das damals erkannt habe, sicher bin ich mir nicht.

Meine Tochter hat sich jedenfalls entschieden, den Kommentar nicht mehr zu verändern, sie kam dann triumphierend nach Hause, keiner hatte sie für naiv gehalten, alle waren ihrer Meinung, ätsch. Und vermutlich ist das gut so, dass sie meint, kein Macho könne sie aufhalten, vermutlich kann man die Welt auch nicht erobern, wenn man nicht meint, sie liege einem zu Füßen. Liebes Kind, stürm' los.

Wenns nötig sein sollte, zahl' ich den Friseur.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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