So ist das mit dem Älterwerden

Tanzt man denn beim Kochen anders, wenn man 48 ist? Und der Wind, warum soll er sich nicht gleich anfühlen wie früher?

Manchmal betrachte ich mich im Spiegel. Nicht in dem, der im schummrigen Badezimmer hängt und mir schmeichelt. Sondern im Spiegel eines Schaufensters oder einer Umkleidekabine, wo das Licht so grell ist und immer, immer von oben kommt. So siehst du also aus, denke ich mir. Da rechts an der Schläfe die weißen Haare. Da links über der Nase die senkrechte Falte. Ich erschrecke nicht, ich habe mich ja schon oft so gesehen. Aber ich bin verwundert, jedes Mal aufs Neue.

Manchmal sage ich: „Ich bin 48.“ Ohne, dass mich jemand direkt gefragt hat. Vielleicht glaubt der eine oder andere, ich warte jetzt auf ein Kompliment, und ich freue mich tatsächlich, wenn eines kommt. Aber das ist nicht der Grund. Ich probiere die Zahl aus. 48. Wie klingt das? Was heißt das? Was sagt das über mich aus?

Dazwischen, wenn ich nicht in den Spiegel schaue, wenn ich mir nicht mein Alter vorsage, vergesse ich, dass ich nicht mehr jung bin. Dann fährt mir der Wind durchs Haar, als wäre ich zehn. Dann tanze ich beim Kochen, als wäre ich 20. Andererseits: Tanzt man beim Kochen anders, wenn man 48 ist? Und der Wind, warum soll er sich nicht gleich anfühlen? Der Apfelstrudel schmeckt genauso gut, Bellinis „Frau im Bade“ ist noch immer so schön wie damals, als ich sie zum ersten Mal sah.

Meine Augen. Ja, was? Was hat sich verändert? Ich finde Paul Auster blöd und Siri Hustvedt cool. Das hat sich verändert. Meine Augen sind schlechter geworden, und manchmal werde ich nachts wach und kann nicht wieder einschlafen. Ich ziehe nach dem Schwimmen den nassen Bikini aus, sogar im Sommer. Und wenn ich über die Stränge schlage? Dann fühle ich mich am nächsten Tag genauso erschlagen wie früher. Alkohol und Schlafentzug, das habe ich mit 20 schon nicht vertragen. In manchen Dingen war ich eben immer alt.

„Hör auf, so zu reden“, sagt mein Mann.

„Also ich möchte nicht 48 sein“, sagt meine Tochter. „Warum?“, frage ich sie. „Weil ich die Zukunft habe!“ Und ich? Frage ich. Was habe ich? Keine Zukunft?

Sie hat ein bisschen recht. Sogar sie hat mit ihren 17 Jahren nicht mehr alle Chancen. Für eine Karriere als Fußballspielerin ist es zum Beispiel zu spät, da hätte sie früher anfangen müssen. Man entscheidet sich. Und jede Entscheidung vermindert die Menge der Entscheidungen, die einem noch bevorstehen. Jede Wahl schränkt uns ein. Und auch jede Wahl, die wir nicht treffen.

Eine Freundin, die übergewichtig ist, hat mir erzählt, sie vergesse immer, wie viel sie wiege, sie fühle sich schlank, und manchmal kommt sie dann irgendwo nicht durch.

Ich glaube, so ist das bei mir mit dem Älterwerden.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

(Print-Ausgabe, 06.11.2016)

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